Interview mit Hae-Lin Choi, US-Gewerkschafterin der CWA (Communications Workers of America), über „Black Lives Matter“ und gewerkschaftliche Verantwortung im Kampf gegen Rassismus.
Nach dem mit mehreren Handykameras gefilmten Mord an dem schwarzen US-Amerikaner George Floyd durch einen weißen Polizisten erlebt das Land unter dem Slogan #BlackLivesMatter eine Welle von massiven Protesten gegen Rassismus. Die zum Teil auch gewalttätigen Konfrontationen richten sich nicht mehr alleinig gegen Polizeigewalt, von der schwarze Menschen in den USA überdurchschnittlich häufig betroffen sind.
Die ver.di-Schwestergewerkschaft in den USA, Communications Workers of America (CWA), hat sich als Gewerkschaft der Beschäftigen im Bereich Telekommunikation mit eigenen Aktionen, Aufrufen und interner Aufklärungsarbeit an der „Black Lives Matter“-Bewegung beteiligt. Wir sprachen mit Hae-Lin Choi, Leiterin der Abteilung Politische Planung der CWA im Bundesstaat New York über die Gründe für die starken Proteste und welche Forderungen die Gewerkschaften stellen.
Romin: Rassismus hat eine lange Geschichte in den USA und auch der Kampf dagegen. Es gab in den letzten Jahren viele Protestwellen gegen Polizeigewalt, die wieder abebbten. Warum ist der Fall von George Floyd zu einer nationalen Debatte geworden?
Hae Lin: Wir erleben gerade eine Doppelkrise: Die Corona-Pandemie, die in den USA viel mehr Todesopfer als in Deutschland fordert, hat vielen Menschen nochmal deutlich gezeigt, wie strukturell ungleich die Gesellschaft ist. Schwarze Menschen und People of colour** haben eine dreimal so hohe Sterbe- und Infektionsrate aufgrund ihrer Lebensbedingungen und des damit verbundenen Gesundheitszustands. Sie arbeiten häufiger ungeschützt und werden schneller arbeitslos. Und das ist das Ergebnis der anderen Pandemie, die dieses Land seit 400 Jahren im Griff hat: dem strukturellen Rassismus.
Viele Leute sagen, dass sie es satt haben, solche Zustände immer wieder anzuprangern, ohne dass sich etwas ändert. Der unglaublich brutale Mord, der sich im Netz rasend schnell verbreitet, hat die durch Corona verstärkte Wut und den Zorn über diese Verhältnisse zum Explodieren gebracht. Die Proteste sind jetzt in ihrer Zusammensetzung viel vielfältiger als früher.
Romin: Weil es auch zu vielen gewaltsamen Konfrontationen kam, sind die Forderungen der Bewegung in den Hintergrund gerückt. Kannst du sie kurz darstellen?
Hae Lin: Tatsächlich kann man die Stärke der Bewegung darin sehen, dass im Moment seitens der Politik auf der regionalen Ebene schon viele lange bestehende Forderungen erfüllt wurden, wie mehr öffentliche Transparenz darüber herzustellen, ob PolizistInnen schon einmal wegen erhöhter Gewalttaten aufgefallen sind. Eine wichtige Forderung ist die nach der teilweisen Umverteilung der Mittel, die bisher an die Polizei gingen, zugunsten sozialer Arbeit, zum Beispiel im Umgang mit psychisch Erkrankten und Obdachlosen oder um die Gewalt an den Schulen einzudämmen. Also mehr Geld für Soziales, als für einen autoritären Umgang mit gesellschaftlichen Problemen. In Minneapolis, wo Floyd umgebracht wurde und der Täter erstmal im Dienst blieb, wurde aufgrund des Drucks entschieden, die Polizeibehörde komplett neu zu strukturieren.
Romin: Und wie habt ihr als Gewerkschaft reagiert, habt ihr viele von Rassismus betroffene Mitglieder?
Hae Lin: Ja, aber wir wissen auch, dass sich die Mitglieder sehr unterschiedlich auf die Branchen verteilen. Und gerade deshalb ist es wichtig, dass wir uns stärker gegen Rassismus engagieren und es dabei nicht bei schönen Erklärungen belassen. Wir haben uns verpflichtet, mehr offenen Dialog zwischen den Mitgliedern über Rassismus zu initiieren und konkrete Schritte zu vereinbaren, wie wir inklusiver werden können.
Romin: Und welche konkreten Aktionen sind daraus zur Unterstützung von Black Lives Matter entstanden?
Hae Lin: Ein paar Tage nach dem Mord gab es für symbolische 8 Minuten und 46 Sekunden, die der Todeskampf von Floyd dauerte, landesweite Walk-outs unter dem Hashtag #walkoutforblacklives, bei denen Kolleg*innen ihren Arbeitsplatz verlassen und gegen Rassismus protestiert haben, das war einmalig für CWA. Besonders gerührt war ich davon, wie viele weiße Mitglieder sich an der Aktion beteiligt haben.
Romin: Was hat zum Erfolg der Aktion beigetragen?
Hae Lin: Wir hatten im Vorfeld viele Gespräche zwischen Mitgliedern initiiert, wo schwarze ihren weißen Kolleg*innen zum ersten Mal davon berichtet haben, mit welchem Rassismus sie auch im Arbeitsalltag konfrontiert sind, zum Beispiel im Kundenkontakt. Das sind Realitäten, die für viele Weiße absolut unvorstellbar sind, wie auch das „the talk“ genannte Gespräch, das schwarze Eltern mit ihren Söhnen irgendwann führen müssen, um sie darauf vorzubereiten, erniedrigende und rassistische Polizeikontrollen ohne Protest über sich ergehen zu lassen, um dabei nicht getötet oder verletzt zu werden. Das war für viele weiße Kolleg*innen schon ein sehr emotionaler Moment zu verstehen, dass dies die Probleme ihrer langjährigen Kolleg*innen und nicht irgendwelcher Kriminellen sind.
Romin: Und wie geht es jetzt in dieser Hinsicht weiter?
Hae Lin: Wir müssen dieses Moment und die Offenheit nutzen, um ein antirassistisches Klima zu schaffen und Dialog zwischen unterschiedlichen Kolleg*innen herzustellen, unterschiedliche Erfahrungen in einen Kontext jahrhundertelanger Unterdrückung zu stellen.
Der Gewerkschaftsbewegung kommt hier eine riesige Bedeutung zu, es gibt keine ähnlich vielfältige und breite Organisation in den USA, aber wahrscheinlich auch weltweit, wie die Gewerkschaften.
** People of Color: Der Begriff People of Color (im SingularPerson of Color) ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren. Ausführliche Erläuterung des Begriffs von Diversity Arts Culture, dem Berliner Projektbüro für Diversitätsentwicklung >>https://t1p.de/0i17
Das Interview führte Romin Khan
Romin ist bei ver.di Referent für Migrationspolitik und Mitglied im Vorstand des gewerkschaftlichen Vereins »Mach’ meinen Kumpel nicht an! – für Gleichbehandlung, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus e.V.«
Der Bereich Migrationspolitik setzt sich für die Interessen unserer vielen Mitgliedern mit Migrationshintergrund ein und gibt ihnen eine Stimme in der Politik und in der Gesellschaft für Teilhabe, Integration und gleiche Rechte.
Gelbe Hand: Mach meinen Kumpel nicht an! – für Gleichbehandlung, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus e.V. ist eine gewerkschaftliche Initiative gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus. Der 1986 gegründete Verein ist laut DGB eine der ältesten antirassistischen Organisationen in Deutschland.
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