Ein Gespräch mit Frank Werneke und Marcel Fratzscher
Viele Vorschläge – wir möchten sozial gerechte Lösungsansätze finden
Die Preise für Lebensmittel steigen rasant. Und wer hatte noch nicht das Schreiben vom Energieanbieter im Briefkasten, in dem saftige Preissteigerungen angekündigt wurden – und im Winter könnte es noch viel schlimmer kommen, lesen und hören wir. Die Stimmung ist schlecht: Viele wissen nicht, wie sie angesichts dieser unerwarteten Entwicklungen ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen.
Ideen, wie mit der Situation umzugehen sei, kursieren gerade viele. Eine sächsische Hausverwaltung rationiert die Warmwasserversorgung für ihre Mieter*innen, diese Überlegung teilt auch Hamburgs Umweltsenator für den „worst case“ und erwägt außerdem, die maximale Raumtemperatur herabzusetzen, Mieter*innenvereine protestieren. Andere plädieren für finanzielle Energiesparanreize, während Konzerne versuchten, die gestiegenen Kosten auf Verbraucher*innen abzuwälzen. Es ist schwer, in dieser Kakophonie der schlimmen Nachrichten die Übersicht zu wahren. Wir wollen Überblick verschaffen und Lösungsansätze finden, die sozial gerecht und umsetzbar sind.
Die Kollegin Jenny Mansch hat deswegen in der aktuellen Folge unseres Podcasts „Auf Arbeit“ zwei Experten zu diesem Thema zum Gespräch geladen. Der eine ist Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und Professor für Makroökonomie an der Berliner Humboldt-Universität, der zweite Gesprächspartner ist unser ver.di-Vorsitzender Frank Werneke, der aus gewerkschaftlicher Sicht erläutert, welche Maßnahmen er in dieser Situation für sinnvoll hält.
Woher kommt die Inflation eigentlich?
Bevor wir zu den Maßnahmen kommen, gehen wir erst mal einen Schritt zurück. Wie ist die Inflation eigentlich entstanden? Marcel Fratzscher erklärt: 80 Prozent der Inflation, die wir gerade erleben, rührt aus dem Import – vor allem Energie und Nahrungsmittel sind betroffen, die wir aus anderen Ländern einführen. Hauptursachen sind der Krieg in der Ukraine und die Zero-Covid-Politik der chinesischen Regierung – in deren Folge Lieferketten unterbrochen werden, weil Seehäfen geschlossen werden, wo dann alles liegenbleibt. Das Problem liegt – so Fratzscher – nicht in Deutschland und nicht in der Nachfrage bei uns, sondern auf der Angebotsseite.
Und schon von daher – so Fratzscher – könne kein Unternehmen, keine Regierung, keine Zentralbank die Inflation mit Maßnahmen hier im Land stoppen! Worauf wir Einfluß haben, sei die Art und Weise, den sozialen Schaden, sprich die Ungleichheit der Auswirkungen zu begrenzen.
Inflation ist unsozial
Gesamtwirtschaftlich gesehen rechnet sein Institut in diesem Jahr mit Lohnsteigerungen um 4.5 Prozent bei einer Inflation zwischen 7 und 10 Prozent. Das bedeutet – im Mittel – einen Verlust von 2 bis 3 Prozent Kaufkraft.
Doch Inflation ist zutiefst unsozial, so Fratzscher. Menschen mit geringem Einkommen erfahren aktuell eine 8- bis 10-prozentige Abwertung ihres Lohnes, bei den hohen Einkommen sind es gerade mal zwei Prozent. Damit trifft die die Inflation die ärmere Menschen härter, weil sie einen größeren Teil ihres Einkommens für Grundbedürfnisse aufwenden müssen.
Das Gleiche gelte übrigens auch für kleine Unternehmen, die schon in der Pandemie gelitten haben und jetzt in größere Vorleistung gehen müssen und so in Schieflage geraten können.
Soziale Ungleichheit in der Krise verhindern: Entlastungspakete
Auch viele ver.di-Mitglieder sind betroffen von den stark steigenden Lebensmittelpreisen. Am bedrohlichsten sei der Anstieg der Gaspreise, so Frank Werneke: „Aus den Betrieben wissen wir, dass sich im schlimmsten Szenario die Gaspreise verdreifachen könnten.“
Deshalb, so Frank im Podcast, seien die Entlastungspakete der Bundesregierung ein Schritt in die richtige Richtung – wie der Energiegeldzuschlag von 300 Euro für alle Erwerbstätigen und die Erhöhung des Kindergelds. Allerdings gibt es Nachbesserungsbedarf: Rentner*innen als auch Studierende seien bisher komplett durchs Raster gefallen. Gerade Rentner*innen wissen im Moment nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Das kann nicht so bleiben, hier muss die Bundesregierung korrigieren!, so Frank.
Vom Tankrabatt hält der Vorsitzende im Übrigen wenig, weil davon die Mineralölkonzerne profitieren, das 9-Euro-Ticket – ein gutgemeinter Move, aber wegen der begrenzten Kapazitäten der Bahn sei es eben auch noch kein Gamechanger.
Werneke: Die Bundesrepublik kann sich Neuverschuldung leisten
Der FDP-Finanzminister bringt die Schuldenbremse in Stellung, wenn es um die Finanzierung der Entlastungspakete geht. Frank Werneke geht davon aus, dass die Einhaltung des Haushaltsplans in dieser Situation sowieso unmöglich ist und empfiehlt, die Schuldenbremse auszusetzen (und dabei gleich zu reformieren), solange es nötig ist, um damit die Entlastungspakete zu finanzieren. Das Land, so der Vorsitzende, kann sich eine Neuverschuldung leisten und sollte mit dem freigewordenen Geld in die Zukunft investieren, zum Beispiel in erneuerbare Energien.
Fratzscher ergänzt aus gesamtökonomischer Sicht: Nicht die Nachfrage schwächen, sondern das Angebot stärken, um mehr Potenzial zu schaffen. Der Staat mache einen Fehler, wenn er denkt, er müsse seine eigenen Ausgaben, sprich das Angebot reduzieren – so wird die Situation noch verschärft. Analog zu Frank Werneke: Es bedarf einer Stärkung der Angebotsseite über Zukunftsinvestitionen.
Die einzig dauerhafte Lösung: höhere Löhne
Beide Gesprächspartner sind sich einig, dass Entlastungspakete allein nicht die Lösung des Problems sein können. Marcel Fratzscher: Nicht nur, dass der Umfang der Pakete nicht ausreicht. Es geht ums Prinzip. Die Entlastungspakete sind temporär, die hohen Preise bleiben! Selbst wenn die Inflation irgendwann zu einem normalen Niveau zurückkehrt, heißt das noch lange nicht, dass die Preise wieder aufs alte Niveau sinken. Das bedeutet: Nur über höhere Löhne (und höhere Sozialleistungen) kann man die Differenz ausgleichen!
Frank Werneke: Die Entlastungspakete haben gerade jetzt im Moment auf jeden Fall eine wichtige Brückenfunktion – denn die Preise steigen jetzt und wir können nur über Tarifrunden höhere Löhne erreichen – und viele Verhandlungen wie die im öffentlichen Dienst, bei der Post oder im Handel beginnen erst in ein paar Monaten. Deswegen fordern wir die Pakete ein, unter Einbeziehung der Rentnerinnen und Rentner / Studierenden. Letztlich gilt: Nur dauerhafte Tariflohnsteigerungen können dauerhaft gestiegene Preise ausgleichen.
Wir werden den Inflationsausgleich durchsetzen!
Dabei ist es im Moment nicht leicht, hohe Lohnsteigerungen durchzusetzen. Die Arbeitgeberseite, sagt Werneke, hat ein großes Interesse daran, Lohnsteigerungen niedrig zu halten und ist – wenn überhaupt – zu Einmalzahlungen bereit, aber Prämien wirken eben nicht dauerhaft.
Er warnt, dass die kommenden Tarifrunden sehr harte Auseinandersetzungen werden. Das zeige allein schon die Tarifrunde in den Seehäfen. „Wir wissen, dass gerade die Streiks in den Häfen der Arbeitgeberseite sehr wehtun – und sie geben trotzdem nicht nach. Wir sind aber fest entschlossen, den Inflationsausgleich durchzusetzen. Selbes gilt für die kommenden Tarifauseinandersetzungen bei der Lufthansa und im öffentlichen Dienst“, so Frank Werneke.
Preisdeckelung – eine sinnvolle Maßnahme?
Sobald von Lohnerhöhungen die Rede ist, erfolgt von Arbeitgeberseite oft reflexartig der Verweis auf die Lohn-Preis-Spirale – eine Hypothese, nach der Lohnerhöhungen direkt auf die Preise aufgeschlagen werden.
Preise könnte man gesetzlich deckeln – aber in einer Preisdeckelung sieht Fratzscher keine Lösung – schon alleine, weil die Inflation international getrieben ist und man den Markt nicht dauerhaft aushebeln könne. Zudem gäbe es bestimmte Leistungen und Produkte, die aus seiner Sicht teuerer werden müssen, aus ökologischen Gründen zum Beispiel (fossile Energieträger).
Auch wenn die Lohn-Preis-Spirale oft von Arbeitgeberseite als Argument gegen faire Lohnforderungen angeführt wird: Niedrige Löhne, so Fratzscher, sind aus gesamtwirtschaftlicher Sicht eben nicht gut, denn sie führen zum Sinken der Kaufkraft.
Hinzu kommt: Auch in der Krise gibt es viele Branchen, die von der Situation profitieren. Diese Krisengewinner sind sehr wohl in der Lage, entsprechend höhere Löhne zu zahlen. Fratzscher: Der Kuchen, der da ist, musst gerecht verteilt werden.
Er plädiert außerdem für Transfergelder. So kann jede*r selbst entscheiden, wie er oder sie das Transfergeld einsetzt: für Lebensmittel oder Benzin oder oder …
Krisen-Profiteure sollten besteuert werden
Frank Werneke geht vor allem auf die Branchen ein, die von der gegenwärtigen Situation profitieren und denen die Krise Extra-Gewinne beschert hat. Er findet klare Worte: „Diese Gewinne muss man abschöpfen, das machen andere Länder auch.“ Er weist aber auch darauf hin, dass eine „Übergewinnsteuer“ allein Refinanzierungsprobleme nicht löst – deswegen „sinnvolle“ Neuverschuldung, siehe oben.
Auch Marcel Fratzscher hält es nach marktwirtschaftlicher Logik für richtig, „leistungslose“ Gewinne zu besteuern. Das betrifft Mineralölkonzerne, lässt sich aber auch auf die Immobilienbranche übertragen. Fratzscher: „Ich befürchte aber, dass man sich da nicht rantraut.“
Neuauflage „Konzertierte Aktion“: Wir bleiben bei unseren Forderungen!
Am 4. Juli hatte Bundeskanzler Olaf Scholz unter anderen Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter zum Gespräch eingeladen, um zu diskutieren, wie mit Inflation und Preissteigerungen umzugehen sei. Vorher wurde aus dem Kanzleramt gestreut, die Gewerkschaften sollten sich in der Krise zu Lohnzurückhaltung bekennen. Passend dazu lief der vom Kanzleramt angesetzte Gesprächstermin unter dem Titel „Konzertierte Aktion“ – und spätestens da horchen Gewerkschaften kritisch auf. Was bedeutet dieser Begriff also?
Frank Werneke holt aus: „Nach dem ersten Abflachen der Boom-Phase der Wirtschaft in den späten 1960ern war das ein Round-Table-Format zwischen Bundesregierung, Arbeitgebern und damals Bundesbank sowie Gewerkschaften. Es war ein Versuch, über Absprachen die Inflation zu begrenzen. Für die Gewerkschaften, die sich auf niedrige Lohnforderungen eingelassen hatten, ging das am Ende nicht gut aus.“ Denn die Arbeitgeber hatten sich ihrerseits auf keinerlei Absprachen eingelassen.
Daher Franks ganz klares Fazit: „Klar, in dieser Situation gibt es in diesem Kreis einiges zu besprechen, vor allem geht es aus gewerkschaftlicher Sicht um den Inhalt der Entlastungspakete. Aber auf die kommenden Lohnverhandlungen werden diese Gespräche keinen Einfluss haben.“
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