Fabienne Eli ist eine von 14 angehenden Gewerkschaftssekretär*innen, die zum 1. April 2020 ihre Trainee-Stelle bei ver.di angetreten haben – mitten in der Pandemie, mitten im Corona-Shutdown. Sie erzählt, wie sie ihren Start als ver.di-Trainee unter diesen ungewöhnlichen Bedingungen erlebt hat.
Vom Glück, eine gute Ausbildung zu erhalten
Christiane Lehmann: Hallo Fabienne, herzlich willkommen bei ver.di. Erzähl doch mal: Wer bist du und wie bist du zu ver.di gekommen? Was war deine Motivation, dich bei einer Gewerkschaft zu bewerben?
Fabienne Eli: Mein Name ist Fabienne Eli, ich bin 23 Jahre alt und komme aus Neunkirchen, einer Arbeiterstadt geprägt von Strukturwandel. Ich bin gelernte Industriekauffrau und habe Anfang des Jahres 2020 meine Ausbildung in einem nicht organisierten Unternehmen abgeschlossen. Ich wollte schon immer für faire Arbeitsbedingungen und eine gerechtere Verteilung von Vermögen kämpfen.
Mein Vater ist Elektriker und Programmierer, meine Mutter ist Erzieherin. Ich bin das älteste Kind und habe als Erste in meiner Familie Abitur gemacht. Schon während meiner Schulzeit ist mir klargeworden, welches Glück ich habe, dass ich diesen Weg gehen konnte. Für mich ist es genau das – Glück. Glück, zuhause Unterstützung bei den Hausaufgaben zu erhalten, später Glück, eine Nachhilfe zur Abiturvorbereitung bezahlt zu bekommen, dann Glück, studieren gehen zu können, Glück, finanzielle Unterstützung zu erhalten, um meine Ideen, Wünsche und Träume verwirklichen zu können.
Nicht jedes Kind hat dieses Glück. Viele meiner Freunde sind auf diesem Weg zurückgeblieben. Sie mussten nebenher arbeiten gehen und konnten sich nie nur auf die Schule konzentrieren, sie hatten einen Namen, bei dem sie einfach nur deshalb nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurden, eine Hautfarbe oder eine Adresse, die jemandem nicht gepasst haben.
„Ich möchte für Gerechtigkeit kämpfen“
Würde Leistung fair und vorurteilsfrei bewertet, dann könnte man von Gerechtigkeit sprechen. Diese Gerechtigkeit muss auch politisch gewollt und durchgesetzt werden. Solange der politische Einfluss derer mit dem Großteil des Vermögens in Deutschland größer ist als der Einfluss der Mehrheit der Bevölkerung, unabhängig ihres Geldbeutels, werden wir keine Gerechtigkeit erlangen.
Ich möchte als Gewerkschaftlerin gemeinsam mit unseren Mitgliedern kämpfen. Für ihren Stellenwert, ihre politische Kraft und Bedeutung, aber auch für ihre Einzelschicksale. Deshalb möchte ich Gewerkschaftssekretärin werden und deshalb habe ich mich auf die Traineestelle beworben.
Über 20 Bewerbungen auf eine Stelle als ver.di-Trainee
Christiane Lehmann: Wie läuft denn so ein Bewerbungsverfahren auf eine Trainee-Stelle bei ver.di eigentlich ab?
Fabienne Eli: Das Auswahlverfahren ist in drei Phasen aufgeteilt. Auf die 14 Traineestellen gab es weit über 300 Bewerbungen. Bei der Bewerbung konnte man ankreuzen, ob man sich nur auf eine bestimmte Stelle bewerben möchte oder auf mehrere bzw. alle ausgeschriebenen Stellen. Um ihre Chancen zu erhöhen, haben sich einige direkt auf mehrere Stellen beworben. Da nur 30 Personen zu den Auswahltagen eingeladen werden, kann es natürlich ein Vorteil sein, sich auf mehrere Stellen zu bewerben.
Man sollte allerdings immer im Blick behalten, ob man sich wirklich gut vorstellen kann, im Zielbereich zu leben und zu arbeiten, da man im Anschluss an das Traineeprogramm mindestens 4 Jahre auf der ausgeschriebenen Stelle bleiben sollte. Ich habe mich daher nur auf die Stelle mit dem Ziel ver.di Bezirk Saar-Trier beworben, da ich nicht aus dem Saarland wegziehen möchte.
Das Bewerbungsverfahren bei ver.di ist anspruchsvoll
Ich habe das komplette Bewerbungsverfahren als sehr anspruchsvoll wahrgenommen. Im ersten Schritt wurde mit den 70 passendsten Bewerber*innen ein zwanzigminütiges Telefonat geführt. Davon wurden im Anschluss 30 Personen zu den Auswahltagen nach Berlin eingeladen. Anreise und Unterkunft wurden bezahlt – auch wenn das eigentlich so sein sollte, war es für mich nicht selbstverständlich.
An drei Tagen wurden jeweils 10 Personen an unterschiedlichen Aufgaben gemessen. Es gab eine Gruppenaufgabe, eine fiktive Betriebsversammlung mit Präsentation, die man im Vorfeld vorbereiten konnte, und nochmal ein einstündiges Interview.
Die Bewertungen waren fair und erfolgen nach einem Ampelprinzip. Die verschiedenen Kompetenzen, die man als Gewerkschaftssekretär*in haben sollte, sind alle einzeln gewichtet und bewertet worden. Eine durchschnittlich rote Bewertung in einem Anforderungskriterium führte zum Ende des Verfahrens.
Als letztem Schritt des Bewerbungsverfahrens gab es im Anschluss an die Auswahltage ein Kennenlerngespräch im Zielbezirk. Als ich dann endlich nach mehreren Monaten meine Zusage in der Hand hatte, war ich überglücklich und wusste: Es wird sich jetzt einiges für mich ändern!
Ich habe mich Ende September 2019 beworben, im Januar habe ich meinen Vertrag unterschrieben. Heute sitze ich in meinem Büro im ver.di-Gebäude in Saarbrücken, in meinem zukünftigen Zielbezirk Saar-Trier, in meiner Heimat, dem Saarland.
ver.di-Start mitten im Corona-Shutdown
Christiane Lehmann: Du hast am 1. April – mitten in der Pandemie – deine Trainee-Stelle bei ver.di angetreten. Wie hat der Shutdown deinen / euren Start beeinflusst?
Fabienne Eli: Das Ausschlaggebende ist: Wir durften unseren Job antreten! Viele, die zur gleichen Zeit eine Ausbildung oder einen Job woanders anfangen wollten oder angefangen haben, wissen heute nicht, wie es weiter geht. Eine Übernahme nach der Ausbildung wurde nur in den Tarifverträgen der gut organisierten Unternehmen garantiert. Alle anderen haben große Probleme. Teilweise werden sie doch nicht wie ursprünglich angenommen im Betrieb übernommen, teilweise hatten sie schon neue Stellen, wobei sie diese von Seiten der Unternehmen bis auf Weiteres nicht antreten dürfen, teilweise wurden sie noch in der Probezeit gekündigt.
Das Trainee-Programm fing wegen der Corona-Pandemie zwei Wochen später an. Während dieser Zeit hat es die Personalabteilung geschafft, das Trainee-Programm an die unerwartete Situation anzupassen. Somit war mein erster „richtiger“ Arbeitstag der 16. April 2020, ein Donnerstag.
„Meinen Einstand bei ver.di Saar-Trier holen wir nach“
Mein erster Tag war sehr ungewohnt. Als ich um kurz vor 9 Uhr im ver.di-Gebäude in Saarbrücken ankam, musste ich vorher anrufen und wurde dann an der wegen Corona verschlossenen Eingangstür abgeholt und zum Büro meines Einarbeitungsbeauftragten Christian gebracht. Christian begleitet mich während meiner ersten Praxisstation und unterstützt mich bei meiner Einarbeitung. Ihn hatte ich schon vorher kennen gelernt.
Anschließend wurde ich einmal im Gebäude herumgeführt. Fünf Stockwerke, in denen zu „normalen“ Zeiten ca. 40 Mitarbeiter*innen arbeiten. An meinem ersten Tag waren keine 10 Menschen im Haus. Alle anderen waren aus Sicherheitsgründen im Home Office. Die Begrüßung lief immer ähnlich ab: Ich kam ans Büro, die Person im Büro kam mir aus Gewohnheit entgegen, kurz vor der Begrüßung ein abruptes Stoppen und die Worte „Stimmt, dass darf man ja nicht“, die ausgestreckte Hand wurde wieder weggezogen und wir wechselten ein paar Worte aus der Entfernung.
Was mittlerweile für alle Normalität geworden ist, war im April noch ungewohnt. Ich habe trotzdem von allen das Gefühl bekommen, willkommen zu sein. Meinen Einstand holen wir irgendwann nach.
Das verdi-Trainee-Programm: Einführungswoche digital
In der darauffolgenden Woche haben wir 14 Trainees uns kennengelernt. Leider nicht wie ursprünglich geplant bei einem Seminar in der Bundesverwaltung in Berlin oder in einem der ver.di-Bildungszentren, sondern in einem Webinar. Wie alle wurden auch wir natürlich nicht davor verschont, persönliche Kontakte zu minimieren, was auch absolut verständlich ist. Dennoch war diese erste Woche geprägt von neuen Kontakten, aber auch von Aufregung und Sorge, wie es im Trainee-Programm weitergehen würde, und von vielen technischen Problemen. Alle, die wegen Corona mit Telefonkonferenzen und Webinaren zu tun haben, wissen, wovon ich rede.
Am Anfang war diese Webinar-Situation für uns alle sehr ungewohnt. Einige wenige meiner Mitstreiter*innen kannte ich schon vom Mittagessen bei den Auswahltagen. Den Großteil der Trainees kannte ich aber natürlich nicht und es ist einfach etwas anderes, sich online kennenzulernen. Die für die Trainees zuständigen Mitarbeiter*innen der Bundesverwaltung Myschka und Tobias kannten wir zum Glück alle von den Auswahltagen und auch unsere Seminarleiterin Annett hat es uns leicht gemacht.
Nach dieser Einführungswoche hatten wir alle Informationen, die wir haben mussten. Erstaunlicherweise hat sich trotzdem ein Gruppengefühl entwickelt. Falls sich jemand fragt, wie das geht, wo wir uns doch gar nicht im wirklichen Leben getroffen haben: Team-/ Gruppenarbeiten, Gebärdensprache und ein digitaler Umtrunk sind die Lösung. 🙂
Grundsätzlich wurden vorerst alle Seminare, die wir im Lauf unserer Trainee-Zeit absolvieren, auf Webinare umgestellt, so auch unser Seminar zur politischen Ökonomie, was aber dann schon kein Problem mehr war. Ende Juni und Anfang Juli werden wir drei Wochen am Stück Webinare haben. Wir hatten bisher wirklich tolle Trainer*innen! Trotzdem: Ein Webinar von 9-17 Uhr kann ziemlich anstrengend sein und uns allen fehlen die Gespräche und Diskussionen danach. Deswegen hoffen wir alle, dass nicht mehr viele Webinare nötig sein werden, und freuen uns schon riesig darauf, uns endlich persönlich kennenzulernen.
Ansonsten hat sich vor allem die Arbeit vor Ort in unserem Bezirk geändert. Wo sonst Betriebsbesuche und Termine mit unseren Mitgliedern im Vordergrund stehen, sind es jetzt Telefonkonferenzen und Büroarbeit. Wir Trainees bekommen zu Beginn unseres 18-monatigen Traineeprogramms einen Einarbeitungsplan mit einer Programmstruktur, etwa vergleichbar mit einem sehr ausführlichen Ausbildungsplan. Da steht beispielsweise drin, wann wir wo eingesetzt sind und wer unsere Ansprechpartner sind. Außerdem wann Aktionswochen sind, wann wir Urlaub machen dürfen (nur in den Praxisphasen) oder an welchen Tagen Entwicklungsgespräche stattfinden. Hier wurden einige kleine Anpassungen vorgenommen, um beispielsweise einen Einsatz an einem anderen Standort erst gegen Ende des Jahres zu haben.
Mein Tag als ver.di-Trainee in der Corona-Krise
Christiane Lehmann: Wie sieht ein typischer Tag bei dir im Moment aus – falls es in der Pandemie überhaupt einen Alltag gibt?
Drei Begriffe beschreiben meinen Alltag gut: Telefonkonferenz, Video-Call und digitales Seminar, auch mit Videokonferenz. Momentan bin ich im Fachbereich 11, Verkehr eingesetzt und mein Schwerpunkt sind private und öffentliche Busunternehmen. Als Gewerkschaftssekretär*innen haben wir Vertrauensarbeitszeit. Das bringt Vorteile, aber auch Nachteile mit sich. Einen typischen Tag zu beschreiben, ist schwer, da sich durch die ständig ändernden Verordnungen auch mein Arbeitstag spontan verändert und oft kurzfristige Besprechungen stattfinden.
Trotzdem versuche ich es mal: Ich beginne in der Regel spätestens um 9 Uhr und arbeite dann verschiedene Aufgaben, die ich von meinem Einarbeitungsbeauftragten bekommen habe, für den Fachbereich ab. Außerdem bin ich in ein neu gegründetes Social-Media-Team in meinem Bezirk involviert und darf parallel beim Jugendteam mitarbeiten. Langweilig wird es mir daher nicht.
Immer wieder unterbrochen wird das Ganze von Telefonkonferenzen bzw. Video-Calls z.B. der Tarifkommission, Teambesprechungen oder virtuellen Treffen mit unseren ehrenamtlichen Mitgliedern. Ich habe am Tag also durchschnittlich zwei ca. einstündige bis eineinhalbstündige Telefonkonferenzen und ein Gespräch, bei welchem ich etwas Neues erklärt bekomme und Hintergrundwissen erwerbe, was mir in meiner täglichen Arbeit und bei der Umsetzung der verschiedenen Aufgaben sehr hilft. Wenn ich Fragen habe, nehmen sich mein Einarbeitungsbeauftragter Christian, mein Büronachbar Holger, die Jugendsekretärin Antje und viele andere Kolleg*innen immer die Zeit, um mir etwas zu erklären. In der Regel fahre ich gegen 17 Uhr nach Hause.
Teilweise habe ich dann noch eine abendliche Video-Besprechung. Trotz geänderter Arbeitsbedingungen bleiben Termine am Abend oder auch regelmäßige Telefonkonferenzen am Sonntagmorgen nicht aus.
Christiane Lehmann: Mitte Mai war dein erster ver.di-Monat um. Was ist dein Fazit? Was hast du gelernt und was hast du vor?
Fabienne Eli: Ich habe viele neue Eindrücke und freue mich sehr auf meine zukünftige Arbeit mit und für ver.di! Eine aufschlussreiche Lehre habe ich schon gezogen. Nicht immer wird gut über unsere Arbeit als Gewerkschaft berichtet, zum Teil gar nicht. Meinen ersten Außeneinsatz hatte ich am 8. Mai, als Jens Spahn zu uns ins Saarland kam. Ich war wirklich motiviert und wir haben in meinem Bezirk Aktionen in noch nicht einmal einem Tag auf die Beine gestellt. An jeder Station, an der unser Gesundheitsminister an diesem Tag war, war auch ver.di mit Haupt- und Ehrenamt. In der Presse: nichts. Kein Wort, kein Bild, keine Erwähnung.
Ich bin dennoch umso motivierter, gemeinsam mit unseren Mitgliedern für eine solidarische und gerechtere Gesellschaft zu kämpfen. Für faire Arbeitsbedingungen und faire Löhne. Nicht jeder hat das Glück guter Startbedingungen, nicht jeder hat das Glück von vornerein in einem gut organisierten Unternehmen arbeiten zu können. Aber jeder hat die Möglichkeit sich zusammenzutun und für bessere Bedingungen zu kämpfen. Nicht zu resignieren, sondern voranzugehen. Als Gemeinschaft nicht nur für sich selbst, sondern auch für Schwächere zu kämpfen. Mitgeholt zu werden. Wir alle können uns solidarisch zusammenschließen, an politischer Bedeutung gewinnen und vor Ort direkt Einfluss nehmen. Wer etwas unfair findet und sich Änderungen wünscht, muss sich zusammentun. Werdet Gewerkschaftsmitglied, kämpft mit mir und vielen anderen für eine glücklichere Gesellschaft, denn glücklich ist man nicht alleine.
Christiane Lehmann: Solch engagierte Nachwuchskräfte kann die Organisation gut gebrauchen, da bin ich mir sicher! Danke, dass du dir für uns Zeit genommen hast. Wir wünschen dir weiterhin alles Gute!