Mein Name ist Brit, ich bin 43 Jahre alt und arbeite seit 10 Jahren als Erzieherin in der Kindertagesstätte einer Hamburger Stiftung. Seit vier Jahren bin ich in einer integrativen Kita-Gruppe tätig. Ebenfalls vor vier Jahren wurde ich in den Vorsitz der Mitarbeiter*innenvertretung gewählt und bin teilweise freigestellt. Ab Mai diesen Jahres bin ich aber wieder in Vollzeit bei den Kindern.
Unsere Stiftung ist der Diakonie zugeordnet, wir gehören damit zu den wenigen Anwendern der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR). Die aktuelle Tarifrunde für den kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst betrifft uns somit nicht direkt, aber sie setzt Standards für die gesamte Branche und so profitieren wir auch von einem guten Abschluss, nur etwas später. Bisher hat die Arbeitsrechtliche Kommission einige Zeit nach einem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst unsere Gehälter immer nach oben korrigiert. Sonst würden viel zu viele Beschäftigte zur kommunalen Konkurrenz abwandern
„Die Kinder habe ich immer vermisst“
Mit 16 Jahren musste ich über meinen Berufsweg entscheiden. Ich wusste genau zwei Dinge: Ich habe keine Lust mehr auf Schule im klassischen Sinn und ich arbeite gerne mit Menschen. Ich mochte Kinder schon immer sehr und ich hatte den Eindruck, dass sie auch positiv auf mich reagiert haben. Daher konnte ich mir sehr gut vorstellen, diesen Beruf zu ergreifen. Nach drei Jahren Ausbildung schloss ich Ende 1998 meine Ausbildung zur staatlich geprüften und anerkannten Kinderpflegerin ab. Danach habe ich 10 Jahre bei einem großen öffentlichen Kita-Träger in Hamburg gearbeitet.
Darauf folgte ein kleiner Schlenker auf meinem beruflichen Weg: Gesundheitsbedingt musste ich einige Zeit aussetzen und entschied mich in dieser Zeit, einen neuen Weg zu gehen. Nach einem Volontariat als Radio-Moderatorin und Redakteurin habe ich eine Weile in der Medienwelt gearbeitet. Die Kinder habe ich immer vermisst. Deshalb bin ich in die Kita-Welt zurückgekehrt und arbeite jetzt als pädagogische Fachkraft. Dieser Beruf ist und bleibt einfach meine Berufung.
Perfekter Kita-Tag: Zwischen Spaß und Bildungsauftrag
In meinem Job gehe ich wahnsinnig auf. Als teilweise freigestellte Mitarbeitervertreterin arbeite ich zwei Tage als Springerin in der Kita. Es macht mir einen Riesenspaß mit den Kindern in den Tag zu starten. Ich setze mich zu ihnen zum Schnacken auf den Boden und freue mich über jede Interaktion und jeden kleinen Blödsinn, den wir zusammen machen. Kinder sind einfach unfassbar lustig und pfiffig. Mit ihnen ihren Kita-Tag zu starten, das macht den Job so besonders.
Aber natürlich geht es in der Kita um mehr als Rumblödeln. Wir haben genauso einen Bildungsauftrag wie zum Beispiel die Vorschule. Wir versuchen, die Kinder in ihrer Grundstruktur zu festigen und sie so auf die Grundschule vorzubereiten. In unserer Kita legen wir den Fokus darauf, den Kindern selbstbestimmtes Handeln zu ermöglichen. Mein Herzens-Thema ist es, den Kindern soziale Kompetenz beizubringen bzw. sie darin zu bestärken.
Corona-Notbetrieb: Kleingruppen und perfektes Arbeiten mit Kindern
Aber um diesen Bildungsauftrag wirklich konsequent umsetzen zu können, fehlt es mir und meinen Kolleg*innen schlicht und einfach an ausreichend Zeit. Die Gruppen sind zu groß und wir sind für zu viele Kinder verantwortlich. So absurd es klingen mag: Corona hat uns überdeutlich vor Augen geführt, wie gut wir eigentlich arbeiten könnten, wenn die Kita-Gruppen generell kleiner wären.
Denn besonders am Anfang der Pandemie gab es große Unsicherheit auch unter den Eltern. Deshalb waren nur wenige Kinder in der Kita. Ich selbst gehöre ja auch zu den sogenannten Risikogruppen und wurde von meinem Arbeitgeber erstmal aus dem laufenden Kita-Betrieb genommen, bis ich vollständig geimpft war.
Als ich wieder eingestiegen bin, haben wir immer noch im eingeschränkten Notbetrieb gearbeitet. Die Gruppen waren immer noch kleiner und ich hatte auf einmal viel mehr Zeit für die Kinder als vor Corona. Plötzlich konnte ich so arbeiten, wie wir es in der Ausbildung gelernt haben. Ich hatte zum ersten Mal Zeit, ganz individuell auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. In unserer integrativen Kita ist das natürlich ein doppeltes Geschenk.
Das war ein professionelleres Arbeiten – und dabei entspannter. Ganz im Gegensatz zum sonstigen Kita-Alltag. Und auch die Kinder, die in der Zeit des Notbetriebs in der Kita waren, haben sich super entwickelt. Wenn mal ein Kind durchhing, konnte ich mich kümmern, dem Kind zuhören und gemeinsam mit ihm das Problem lösen. Und zwar ohne den Druck, dass ich nach ein paar Minuten meine Aufmerksamkeit wieder auf andere Kinder richten muss, damit die Kollegin nicht allein für alle Kinder verantwortlich ist.
Kita-Alltag: Große Gruppen, großer Frust
Um den Unterschied nochmal zu verdeutlichen: Zu Zeiten des eingeschränkten Notbetriebs waren wir mit zwei Fachkräften für acht bis 14 Kinder verantwortlich. Im Normalbetrieb sind wir mit zwei Fachkräften für 24 Kinder zwischen drei und sechs Jahren zuständig. Das ist ein gehöriger Unterschied. Im Normalbetrieb kann ich kaum auf die einzelnen Wünsche der Kinder eingehen, so sehr ich mir das auch vornehme. Das funktioniert schlicht und einfach nicht.
Und das führt zu Frustration, meiner eigenen und bei den Kindern. Als Profis können wir natürlich 24 Kinder zu zweit bändigen, aber ich bleibe dann hinter meinem eigenen Anspruch an meine Arbeit zurück. Das ist super unbefriedigend. Ich möchte gerne, dass jedes Kind mit seinem individuellen Charakter gesehen und akzeptiert wird. In zu großen Gruppen den Fokus auch auf die stillen, ruhigen Kinder zu legen, erfordert Konzentration, starke Nerven und ebensolchen Willen.
Corona im Kita-Alltag: Schutz vor Ansteckung? – Fehlanzeige!
Ein ordentliches Maß an Selbstbeherrschung haben wir als Beschäftigte besonders am Anfang der Pandemie gebraucht, als noch nicht viel über Corona bekannt war. Ich persönlich hatte, wie viele meiner Kolleg*innen, Angst und war sehr verunsichert, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Denn wir arbeiten ohnehin immer mit dem Risiko, uns mit diversen Kinderkrankheiten und anderen Infekten anzustecken. Nach wie vor gibt es ein großes Ansteckungsrisiko mit Corona, auch wenn die meisten von uns geimpft sind.
Die Kinder sitzen auf meinem Schoß, niesen mich an und husten auf den Teller. Manchmal ist so ein kleiner Arm einfach nicht schneller als der Hustenreiz und dann stehe ich halt in einem Regen. Das sind ganz normale Alltagssituationen, vor denen ich mich nicht schützen kann. Denn wir können am Kind nicht mit Abstand und Maske arbeiten. Die Kinder lernen doch durch Mimik, durch Mundmotorik, durch Lächeln. Wenn ich eine Maske trage und lächele, geht unfassbar viel verloren.
Corona heißt: Mehrarbeit für Kita-Leitungen
Inzwischen sind alle Kinder wieder zurück in der Kita. Gegenüber dem früheren Normalbetrieb müssen wir jetzt wegen Corona zusätzlich einen Berg an Mehrarbeit schultern. Besonders meine Einrichtungsleitung hat zu ihren eigentlichen Aufgaben eine ordentliche Schippe obendrauf bekommen und arbeitet seitdem regelmäßig am Wochenende.
Oft versendet sie noch spät abends oder am Wochenende Mails mit wichtigen Informationen. Das sind zum einen die aktuellen Eltern-Infos, zum Beispiel über die Schließung von einzelnen Kita-Gruppen wegen Corona-Infektionen. Die Eltern brauchen ja die Zeit, damit sie sich rechtzeitig über alternative Betreuungsmöglichkeiten Gedanken machen können. Aber auch Mails an uns über die sich verändernden Hygiene-Konzepte, die wir in der Kita beachten müssen. Die Einrichtungsleitung besorgt außerdem Masken und Desinfektionsmittel und holt die Corona-Tests für unsere Kita bei der Sozialbehörde ab.
The New Normal: noch weniger Zeit für die Kinder
Als Team versuchen wir, unsere Leitung so gut es geht zu entlasten. Aber auch wir haben seit Corona zusätzliche Aufgaben. Das sind viele kleine Dinge, die zusammen genommen aber viel Zeit schlucken. Wir fragen jeden Tag bei den Eltern die Testergebnisse ihrer Kinder ab und dokumentieren diese, auch wenn es derzeit keine Testpflicht für die Kinder gibt.
Wir kontrollieren auch viel genauer, ob und wie gründlich die Kinder sich die Hände waschen. Dazu kommt die Desinfektion von Oberflächen, Spielgeräten und Spielzeug, die wir jetzt in viel kürzeren zeitlichen Abständen vornehmen. Für die direkte Arbeit mit den Kindern habe ich durch all das also noch weniger Zeit.
Das Resultat: Weil gefühlt sowieso permanent zu wenig Zeit bzw. Personal da ist, plane ich meine Woche pädagogisch gar nicht erst durch, sondern entscheide spontan. Zu oft kommt es vor, dass am nächsten Morgen die Situation meist eine ganz andere ist als gedacht, weil z.B. ein*e Kolleg*in krank ist. Ich hangele mich dann irgendwie alleine mit 24 Kindern durch den Tag und bin froh, wenn ich sie am Nachmittag glücklich wieder ihren Eltern an die Hand geben kann. Inzwischen ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich denke: „Jeder Kopf, der mal einen Tag zu Hause bleibt, ist eine Entlastung.“ Pädagogische Ziele kann ich so nicht umsetzen.
Kita-Finanzierung: Vor- & Nachbereitung existieren nicht im Budget
Für die Vor- und Nachbereitung haben wir eineinhalb Stunden – und zwar ein bis zwei Mal pro Monat. Doch diese Zeit für die mittelbare Pädagogik knapsen meine Kolleg*innen und ich von der Arbeit mit den Kindern ab. Denn diese Zeit ist nirgends konkret hinterlegt – weder in der Refinanzierung noch bei den Trägern. Die Refinanzierung und die Personalstärke der Hamburger Kitas (geregelt im sog. Landesrahmenvertrag) berücksichtigen nicht, dass wir Beschäftigten Urlaub haben, krank werden können, Fortbildungen wahrnehmen oder Vorbereitungszeiten brauchen.
Wir bräuchten eigentlich viel mehr Zeit, um z.B. besondere Projekte oder Ausflüge intensiv vorbereiten zu können. Um all diese Tätigkeiten der mittelbaren Pädagogik deutlich zu machen, haben wir als Fachkommission das „Kita Lexikon“ entwickelt – in diesem Lexikon sind alphabetisch sortiert all die Tätigkeiten aufgelistet, die nicht refinanziert sind.
Gruppengröße runter, Löhne rauf!
Meine klare Forderung an Arbeitgeber und Politik lautet deshalb: mehr Geld und Zeit für Kinder! Damit ich so arbeiten kann, wie ich es gelernt habe, muss es wesentlich kleinere Gruppen geben. Ich denke an einen Personalschlüssel von zwei Vollzeit-Fachkräften auf 16 Kinder. Ich wünsche mir für die Kolleg*innen in den Einrichtungen aller Träger eine deutliche Entlastung in der täglichen Arbeit, damit wir unserem Bildungsauftrag nachkommen können.
Um den Beruf attraktiver zu machen, müssen außerdem die Entgelte steigen. Besonders die Einstiegsgehälter sind viel zu niedrig, um davon leben zu können. Ich erinnere mich noch gut an meine Anfänge im Job, da bin ich jahrelang nicht in Urlaub gefahren. Von meinem Gehalt konnte ich gerade die Miete und die laufenden Kosten decken, vielmehr war nicht drin. Und dieses niedrige Gehalt wirkt sich am Ende des Arbeitslebens ja auch auf die Rente aus. Das darf man nicht vergessen.
Wir alle machen einen guten Job, für den wir gut bezahlt werden wollen. Aber zwischen unserer Qualifikation und den Erwartungen an uns und unserer Bezahlung gibt es eine große Diskrepanz. Das finde ich nicht fair. Verdammt viele Kolleg*innen arbeiten bis an ihre Belastungsgrenze und darüber hinaus. Das will und kann ich nicht akzeptieren.
Ich will meine Arbeitsbedingungen verbessern – für die Kinder und für mich & meine Kolleg*innen
Und genau deswegen engagiere ich mich seit etwa fünf Jahren bei ver.di in der Fachkommission Kita. In der Gewerkschaft bin ich schon viel länger, aber irgendwann bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich aktiv werden wollte. Mir passen viele Sachen in meinem Job nicht. Die Strukturen, die die Politik für unseren Bereich vorgibt, stinken mir. Ich will nicht mehr nur nörgeln, sondern aktiv etwas verändern.
Seitdem mache mich für meine Kolleg*innen und die Kinder grade. Denn nicht nur unsere Arbeitsbedingungen müssen endlich besser werden, auch die Kinder brauchen genügend Zeit, Raum und Begleitung auf ihrem Weg. Deswegen unterstütze ich auch die aktuelle Tarifrunde aus vollem Herzen.
Du arbeitest ebenfalls in einem Sozial- und Erziehungsberuf und möchtest dich in der Tarifrunde 2022 engagieren? Hier findest du alle Infos, wie du dich einbringen kannst. Du möchtest mehr lesen, wie es deinen Kolleg*innen in den Sozial- und Erziehungsdiensten geht?
Was Brit hier beschreibt, ist unser aller Realität seit vielen Jahren.
Ein niedrigerer Betreuungsschlüssel, wie bei uns in S-H entlastet zwar im Alltag ein wenig, löst aber nicht die vielen Grundprobleme: Zeit für Kinder, Vorbereitungen, vernünftige Anleitung von Praktikanten, unbesetzte Stellen in eigentlich jeder Kita. Und nicht zuletzt die fehlende Würdigung der Arbeit der vielen Mitarbeitenden in den Kinderbetreuungseinrichtungen.
Weder gesellschaftlich noch finanziell erfahren die Auszubildenden und Mitarbeitenden der Kitas, OGS oder auch Tagespflegestellen die Wertschätzung, die ihnen gebührt.
Hier hat Corona leider gezeigt, wie wenig sich gerade die Politik um solche Dinge kümmert!
Die Überstunden der Fachkräfte häufen sich immer mehr und es wird vorausgesetzt, dass weiterhin viele davon zur Realisierung der Betreuung geleistet werden. Die Feierabende und Wochenenden waren für Kitaleitungen während der Pandemie aufgrund vieler zusätzlicher Aufgaben oft kurz, gedankt hat es ihnen niemand.
Ich selbst liebe meine Arbeit mit den Kindern über alles, reibe mich aber schon lange auf zwischen meiner Tätigkeit als Springerin einer Kita mit mehreren unbesetzten Stellen und meinen Aufgaben als teilweise freigestellte stellvertretende Leitung, die schlicht nicht mehr zu schaffen sind, wenn man dauerhaft im Gruppendienst steckt.
Auch ich mache kaum noch Pläne und nur noch winzige To-do-Listen, denn jeder Morgen ist Überraschungsmorgen und der Frust darüber, wieder zu nichts gekommen zu sein, macht auf lange Sicht krank…
Am meisten macht mich der Umstand traurig, weder den Kindern, noch den Eltern und schon gar nicht unseren Auszubildenden und Mitarbeitenden die Aufmerksamkeit geben zu können , die sie alle verdient hätten.
Es wird dringend Zeit für tiefgreifende Veränderungen, wenn alle Familien weiterhin qualitativ gute Kinderbetreuung in Anspruch nehmen können sollen!