Karin ist 46 Jahre alt und trans. Seit 1999 arbeitet sie bei Weltbild im Customer Support als Softwaretesterin und im 3rd Level Kundenservice im ebook-Bereich. Dafür verschriftlicht sie technische Probleme mit der Software für die Entwickler. Ihr Outing am Arbeitsplatz hatte sie 2020.
Vorweg möchte ich sagen, dass ich nicht die Lehrbuch-trans-Person bin, falls es die überhaupt gibt. Die längste Zeit meines Lebens wusste ich nämlich gar nicht, dass es trans gibt. Mein Männerleben fand ich immer sehr sehr anstrengend, aber ich dachte halt, das sei normal. Ich kann auch nicht sagen, „Ich habe schon als Kind immer schon mit Barbies gespielt“ oder so etwas.
„Ich wusste nicht, dass es trans gibt …“
Es waren vor allem zwei Schicksalsschläge, die sich 2014 in unmittelbarer zeitlicher Folge ereignet haben, die etwas in mir wachgerüttelt haben. Das eine war die Insolvenz von Weltbild. In derselben Woche erhielt meine Partnerin eine lebensbedrohende Krankheitsdiagnose. Das hat mich tief im Innersten erschüttert, so tief, dass es etwas losgetreten hat, von dem ich bis dahin nicht wusste, dass es da ist.
Ungefähr zur selben Zeit habe ich die erste trans Person persönlich kennen gelernt. Im Nachhinein ist es schon lustig: Sie hat sich mir vorgestellt und ich so: „Wow, ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen, wie das sein muss.“ Aber so habe ich einen Begriff bekommen für das Gefühl, was in mir war. Übrigens: Heute bin ich ihre Patentante!
Nach diesem ersten Kick dauerte es aber immer noch ein paar Jahre, in denen ich das Mannsein immer schwerer fand. Es gab in dieser Zeit schleichende Veränderungen: Zum Beispiel habe ich mich anders gekleidet. Während ich früher gern im schicken Hemd zur Arbeit gegangen bin, habe ich dann am liebsten weiche Pullover angezogen.
Mit den Lolitas zum Coming-out
Dann kam das entscheidende Puzzleteilchen zu meinem Outing: Ich war mittlerweile auf eine japanische Mode gestoßen mit einer tollen, sehr inklusiven Community: die Lolitas. Anfangs war ich noch unsicher, aber irgendwann bin ich dann im Kleid zu den Treffen gegangen. 2019 bei der Lolita-Weihnachtsfeier sagte eine Mit-Lolita auf einmal: „Ach, ist das nicht schön, dass wir heute nur Frauen sind?!“ Das hat mich getroffen wie ein Blitzschlag. Auf dem Heimweg konnte ich nicht aufhören, über diese Bemerkung nachzudenken.
Ich konnte es danach nicht mehr vor mir selbst verbergen. Ich habe verstanden, dass sich das Leben als Mann für mich deswegen so unglaublich schwer anfühlt, weil ich kein Mann bin. Es ging dann auch sehr schnell mit meinem Coming-out vor meiner damaligen Partnerin. Das war Anfang 2020.
Im Corona-Lockdown hatte ich die Möglichkeit, mich auszuprobieren, wie ziehe ich mich an, wie schminke ich mich. Das muss man ja auch erst herausfinden. Dank Home Office blieben die schlimmsten Experimente im Verborgenen. (lacht)
Ein neues Doppelleben kommt nicht infrage
Es war klar, es gab nur noch eine Richtung, dass ich mich in meinem kompletten Umfeld outen würde. Ich hatte mich endlich gefunden. Ich war endlich ich selbst. Ein neues „Doppelleben“ kam für mich nicht infrage. Natürlich konnte ich bei niemandem wissen, wie die Reaktionen ausfallen würden.
Als ich zu meinen Eltern gefahren bin, um es ihnen zu sagen, hatte ich schon einen Kloß im Hals und dachte: „Je nach ihrer Reaktion könnte es das letzte Mal ein, dass ich sie sehe.“ Aber ich hatte keine Wahl. Für mich gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder du lebst – und zwar so, wie es zu dir passt – oder du lebst nicht weiter. Das hat mir eine unglaubliche Kraft gegeben. Im Nachhinein waren meine Bedenken zum Glück völlig unbegründet.
Auch das Outing im Freund*innenkreis verlief total positiv. Alle haben sich für mich gefreut. Für die, die mich lange kannten, war es wohl keine so ganz große Überraschung. Eine Freundin sagte: „Wir haben uns das ja schon länger gedacht, aber nicht zu fragen getraut.“ Alle haben bemerkt, dass es mir viel besser geht, dass ich fröhlicher und offener bin als früher.
Insgesamt kann ich sagen: Ich habe wirklich Glück gehabt. Bis heute habe ich keine einzige schlimme Diskrimierungserfahrung. Der einzige Versuch in diese Richtung kam von einem doofen Nachbarn an der Ampel, der sagte: „Du siehst ja aus wie eine Frau!“ – Ich so: „DANKE!“ Dann hatte ich ja alles richtig gemacht!
Das Transsexuellen-Gesetz ist diskrimierend
Parallel bin ich die rechtlichen Schritte angegangen. In Deutschland gibt es das Transsexuellen-Gesetz (TSG), das durchlaufen werden muss, um offiziell eine Namensänderung und den Wechsel des Geschlechts zu bewirken. Auch dieser Prozess verlief bei mir ziemlich glatt. Mein jetziges Patenkind hatte das TSG hinter sich, dadurch hatte ich von dort die nötige Hilfe.
Meine Gutachter und das Gericht waren in München, auch das lief alles ohne größere Schwierigkeiten. Aber natürlich war auch ich zutiefst diskriminierenden Fragen ausgesetzt, die den Geist der 1980erjahre atmen und schmerzlich spüren lassen, dass sie von weißen alten CIS-Männern gemacht worden sind. Ich trauere der Begutachtung nicht hinterher, wenn das TSG hoffentlich bald passé ist. Das Selbstbestimmungsgesetz ist in all seiner Unvollkommenheit auf jeden Fall ein Fortschritt.
Mit dem Betriebsrat sicher durchs Coming-out
Mir war klar, dass nach der Geschlechtsfeststellung der nächste Schritt das Outing an meiner Arbeitsstelle sein würde. Als Erstes habe ich mich mit unserem Betriebsratsvorsitzenden und der Stellvertreterin getroffen – in einem Café, nicht am Arbeitsplatz. Durch Lockdown und Home Office hatte man sich ja eine Zeit nicht gesehen, ich kam in Bluse und Jeans. Mit der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden hatte ich mich schon immer gut verstanden, sie winkte schon fröhlich von Weitem, sagte etwas Lustiges, wir mussten beide lachen und so fing auch dieser Termin sehr entspannt an.
Mit dem Betriebsrat habe ich dann einen Outing-Plan erarbeitet. Auch hier war das Glück wieder auf meiner Seite. Es hatte im Unternehmen bereits eine andere Transperson gegeben, die bei ihrem Outing vom Betriebsrat begleitet worden war, das war sehr erleichternd.
Als Erstes habe ich mich mit dem Abteilungsleiter getroffen. Speziell vor diesem Termin hatte ich großen Respekt. Ich hatte denselben Stein im Magen wie vor dem Gespräch mit meinen Eltern. Es ist ja schon so: Wenn es mit dem Vorgesetzten nicht klappt, wird es schwer am Arbeitsplatz. Der oder die Vorgesetzte ist ja eine Person, die Macht über dich hat.
Ich komme also rein, er sitzt da, ganz entspannt, und fragt: „Na wie ist der neue Name?“ Er hat dann erzählt, dass seine Frau an der Uni Gender Studies lehrt. Meine Erleichterung war groß. Also bin ich auch hier offene Türen eingelaufen. Wir haben dann besprochen, wie wir das Coming-out vor der Abteilung machen.
Outing vor den Kolleg*innen: der Mut, durch Türen zu gehen
Es war in der Corona-Zeit. Bei uns in der Firma gab es die Möglichkeit im Home Office zu arbeiten, aber wer wollte, konnte auch zur Arbeit kommen. Weil doch viele regelmäßig im Büro waren, haben wir uns dafür entschieden, eine Teambesprechung fürs Outing zu nutzen. An dem betreffenden Tag waren die meisten Kolleg*innen anwesend, die anderen digital zugeschaltet. Ich war nicht angekündigt und die Kolleg*innen waren überrascht, als ich dann als Letzte hereinkam.
Vor der Tür hatte ich wieder das mir schon bekannte taube Gefühl im Magen. Auch hier war ich mir wieder im Klaren, würde es Mobbing geben, würde ich mir einen anderen Job suchen müssen. Aber ich wusste auch: Es gibt keine Alternative. Ich wusste: Du schaffst das! Jetzt, seit ich weiß, wer ich bin, kann ich durch jede Tür, durch jedes Feuer gehen. Dieses Gefühl hat mir Mut gegeben.
Mein Chef hat dann zu den Kolleg*innen gesprochen. Er hat mich vorgestellt und meinte dann: „Wenn ihr Fragen an Karin habt, geht hin und fragt sie – sie ist bereit, mit euch zu reden. Wenn es ein Problem gibt, kommt zu mir – aber wer ein Problem mit der Karin hat, hat auch ein Problem mit mir.“ Ich hatte also die totale Rückendeckung durch die Abteilungsleitung.
Das war total toll, aber zum Glück in meinem Fall gar nicht nötig. Auch dieses Outing verlief locker und lustig. Auch hier wieder die Erfahrung, dass diejenigen Kolleg*innen, die lange genug da waren, nicht ganz so überrascht waren. Eine Kollegin konnte sich sogar noch erinnern, dass ich so mit zwanzig eine Phase hatte, in der ich im Rock ins Büro kam. Da haben wir alle gegrinst und gesagt: „Na dann passt ja jetzt alles“- und das war’s.
Bundesarbeitskreis Regenbogen: zusammen gegen Diskriminierung (nicht nur) im Arbeitsleben
Zum Bundesarbeitskreis Regenbogen in ver.di bin ich über eine Kollegin gekommen, die mich von der dgti (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.) kennt, wo ich mich übrigens gerade im Moment zur Peer Beraterin weiterbilde. In der Corona-Zeit hatte sich der Arbeitskreis in Bayern etwas ausgedünnt.
Im Arbeitskreis Regenbogen kämpfen wir gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz. Nicht alle haben so ein Glück wie ich. Wir sind Ansprechpartner*innen für queere ver.di-Mitglieder, für Betriebsräte. Wir bekommen Anfragen und kümmern uns, helfen direkt oder verweisen an die Kolleg*innen in den Bezirken.
In ver.di bin ich seit 2002. Ich bin außerdem im Betriebsrat aktiv, zwar nur als Nachrückerin – aber auch da trage ich ja zur Willensbildung im Gremium bei. Und was Gewerkschaft und Mitbestimmung erreichen kann, habe ich 2014 erlebt, als Weltbild insolvent war. Es war unser Betriebsrat, der dafür gesorgt hat, dass es die Firma noch gibt, der alle wichtigen Player zusammengetrommelt und gesagt hat: Da geht doch noch was! Ich habe die Power erlebt, die in der Mitbestimmung steckt, und gesehen, was man zusammen alles erreichen kann. Das hat mich geprägt.
Das TSG muss weg – und ich mache mich dafür stark
Wir haben gerade unsere Stellungnahme zum neuen Selbstbestimmungsgesetz fertiggestellt, das das TSG ersetzen soll. Erst gestern habe ich den Gesetzesentwurf durchgearbeitet und heute meine Punkte eingereicht. Eine Kollegin im Arbeitskreis ist ehemalige ehrenamtliche Arbeitsrichterin. Sie kennt sich richtig aus und gießt meine Punkte in die richtige Sprache. Das Papier geht an die Kolleg*innen beim DGB, die uns Einzelgewerkschaften bei der Verbändeanhörung vertreten.
Dazu muss man wissen: Ich habe mal Politikwissenschaften studiert und für mich ist es total cool, dass ich mich jetzt auf einmal an Gesetzgebungsprozessen beteilige und dass meine Punkte nun vielleicht mit ins Gesetz eingehen.
Ich habe früher lange danach gesucht, wie ich mich ehrenamtlich engagieren kann. Jetzt kann ich durch meine private Betroffenheit anderen Menschen helfen, dass sie es später hoffentlich leichter haben werden als wir noch. Das ist für mich tief befriedigend.
Die richtige Entscheidung
Wenn ich auf die letzten Jahre blicke, habe ich alles richtig gemacht. Klar, als ich für das TSG meinen Lebenslauf niedergeschrieben habe, hab ich Rotz und Wasser geheult und dachte: Warum habe ich das denn nicht früher gemerkt? Aber am Ende ist man „reif“, wenn man reif ist und das ist gut so.
Du willst dich ebenfalls gegen die Dskriminierung von LSBTTIQ am Arbeitsplatz engagieren? Hier geht’s zum Bundesarbeitskreis Regenbogen in ver.di
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Ich bin die Mutter von Karin. Ich bin froh daß wir jetzt wissen was Sache ist. Ich bin sehr stolz auf meine Tochter.
Liebe Karin, es ist toll, dass du uns deine Geschichte erzählst und sie so öffentlich machst! Ich freue mich sehr, dass so viele Leute positiv reagiert haben. Daran merkt man, dass die queere Community doch schon sehr viel erreicht hat. Gleichzeitig ist es noch ein weiter Weg, den wir aber gemeinsam gehen werden!