ver.di: Hallo Jonas, ein Standort des Logistik-Konzerns Rhenus Logistics hat es letztlich mit einer sehr unschönen Streikbrecher-Aktion bis in die Medien „geschafft“. Du betreust als hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär den Standort Neu-Wulmstorf – Darüber wollen wir heute sprechen. Kannst du uns zuerst beschreiben: Was macht der Konzern Rhenus Logistics?
Jonas: Rhenus Logistics ist ein Logistik-Dienstleister und ein Tochterunternehmen der Rethmann-Gruppe. Bekannter ist sicher das Schwesterunternehmen REMONDIS, ebenfalls ein Logistiker, aber spezialisiert auf Entsorgung.
Hauptsitz von Rhenus ist in Holzwickede in NRW. Von dort aus wird das Unternehmen gesteuert. Weltweit hat das Unternehmen 39.000 Beschäftigte an über 1100 Standorten.
Im Unterschied zu REMONDIS ist Rhenus ist ein Logistik-Allrounder. Ihre Palette an Dienstleistungen erstreckt sich entlang der Lieferketten. Um ein Beispiel zu nennen: Sie machen viel Terminal-Logistik an Seehäfen – also Container-Management, Container abfahren. – Aber sie machen auch Stückgut und übernehmen überhaupt alle denkbaren Dienstleistungen rund um Versorgungsketten – im Prinzip wird alles transportiert, was transportiert werden kann.
Jonas ist seit 11 Jahren hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär beim ver.di Landesbezirk Niedersachsen-Bremen. Nach fünf Jahren bei der ver.di Jugend in Oldenburg und Bremen, ist er seit sechs Jahren im Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik. Er betreut um die 150 Betriebe, davon viele kleine Inhaber-geführte Basisbetriebe mit nur wenigen Mitgliedern, genauso wie branchenrelevante Großbetriebe. Er ist 37 Jahre alt, wohnt in Bremen und ist verheiratet mit zwei Kindern.
Eines seiner Erschließungsprojekte betraf die Gewerkschaftsarbeit am Rhenus-Standort Neu Wulmstorf.
Logistik-Branche: hohe Gewinne in der Corona-Pandemie
Sowohl REMONDIS als auch Rhenus Logistics haben von der Coronapandemie profitiert und in den letzten Jahren große Gewinne erwirtschaftet. Über genaue Geschäftszahlen schweigt sich der Konzern aus, aber allgemein lässt sich sagen, dass in der Logistik in den letzten Jahren sehr sehr gutes Geld verdient wurde.
ver.di: Danke. Kommen wir zu den Vorfällen am Standort Neu Wulmstorf, den du betreust. Was ist das für ein Standort?
Jonas: Neu Wulmstorf gehört zu Niedersachsen und liegt im Landkreis Harburg vor Hamburg. Der Standort ist ungefähr sechs Jahre alt, schreibt kräftige Umsatzzahlen und auch die Belegschaft wächst – anfangs waren es hundert, jetzt sind es circa 180 Beschäftigte plus um die fünfzig Zeitarbeiter*innen.
Wie an jedem Standort gibt es eine Standortleitung – und darüber eine Regionalleitung, die für mehrere Standorte zuständig ist. Beide Ebenen treffen Entscheidungen, aber nicht in dem Maße wie selbstständige Geschäftsleitungen.
Schritt 1: die Betriebsratsgründung
ver.di: Wie ging es los mit gewerkschaftlichen Aktivitäten bei Rhenus Logistics?
Jonas: Ende 2017 gab es in Neu Wulmstorf den ersten ver.di-Eintritt. Der Kollege wollte einen Betriebsrat gründen, brauchte aber erst mal Mitstreiter. Als sie dann zu dritt waren, haben wir uns das erste Mal getroffen – an einer Raststätte. Die drei Kollegen, die ich dort kennen gelernt habe, waren alle mittleren Alters und voll motiviert. Wir haben es dann geschafft, dass eine Betriebsratswahl stattfinden konnte und die Kollegen sind auch gewählt worden.
Fun Fact: Die Raststätte ist bis heute unser Treffpunkt geblieben. Die Servicekräfte dort kennen uns mittlerweile und freuen sich immer, wenn wir da sind. Sie finden es voll gut, was wir machen.
Fehlendes Verständnis für betriebliche Mitbestimmung
ver.di: Wie hat der Arbeitgeber die Betriebsratsgründung aufgenommen?
Jonas: Einfach war die erste Zeit nicht. Der Betriebsrat musste hart darum kämpfen, vom Arbeitgeber ernst genommen zu werden. Eine Kultur vonseiten der Arbeitgeber, dem Betriebsrat professionell zu begegnen, wie es bei Konzernen dieser Größe eigentlich Gang und Gäbe ist, gab es an dem Standort nicht. Die Kolleg*innen haben aber trotzdem gut durchgehalten und gute Betriebsratsarbeit gemacht.
ver.di: Was bedeutet das konkret?
Jonas: Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass der Betriebsrat aufgefordert wurde, Sitzungen kürzer zu halten. Oder er wurde oft nicht über Veränderungen unterrichtet, die von Mitbestimmung betroffen waren, Informationsrechte wurden nicht geachtet. Es wurde Stimmung gemacht. Ich habe zum Beispiel die Standortleitung darauf aufmerksam machen müssen, dass sie klarstellt, dass auch befristete Kolleg*innen ver.di-Mitglieder werden können, ohne zu befürchten zu müssen, nicht übernommen zu werden. Das war eine große Sorge in der Belegschaft.
Auch als zuständiger Gewerkschaftssekretär habe ich diesen wenig wertschätzenden Umgang erfahren. Wenn ich in „meinen“ Betrieben Rundgänge mache, um Infos zu verteilen, ist das normalerweise nirgendwo ein Problem – zumal es ja ein Zutrittsrecht für Gewerkschaften gibt. In Neu Wulmstorf wurde mir den Zutritt zum Lager aber tatsächlich verwehrt.
Nach einigen Diskussionen haben sie mir dann zumindest den Zutritt zum Pausenraum gewährt – und das ist nicht der günstigste Ort, aber rechtlich zulässig, das können sie so machen. Erlebt habe ich es woanders trotzdem noch nicht.
Mitbestimmung unter erschwerten Bedingungen
ver.di: Wer genau war für dieses mehr oder weniger bewusste Union Busting verantwortlich?
Jonas: Die Leitplanken dieser Ausrichtung kommt klar aus der Unternehmenszentrale. Die recht jungen, häufig wechselnden Standortleiter – bisher waren es immer Männer – setzen das dann um. Sie wirken auch überfordert damit, innerbetriebliche Demokratie zu fördern, Mitbestimmung zuzulassen oder ver.di als legitime Interessenvertretung anzuerkennen. Die Führungskräfte, auch die mittleren, sehen sich selbst häufig fälschlicherweise in Arbeitgeberfunktion und meinen, besonders gegen Gewerkschaft und BR wettern zu müssen. Insgesamt spielen da also Akteure auf mehreren Ebenen eine Rolle.
ver.di: Das ist auf jeden Fall Mitbestimmung unter erschwerten Bedingungen. Was war euer nächster Schritt?
Jonas: Für uns alle war klar, dass der nächste Schritt der Tarifvertrag sein musste. Wir haben uns überlegt, dass wir – um dieses Ziel erfolgreich durchzusetzen – mindestens ein Drittel der Belegschaft in ver.di organisieren müssen. Bis wir dort waren, war es ein langer steiniger Weg, zumal der Standort ja parallel gewachsen ist. Trotzdem haben wir im letzten Herbst die Mitgliederzahl erreicht. Wir wussten: Jetzt können wir eine Mitgliederversammlung machen und eine Verhandlungskommission gründen.
Dazu brauchten wir allerdings wieder Zutritt zum Betrieb. Der Arbeitgeber wollte den Anlass wissen und als er ihn erfuhr, hat er erst mal das Zutrittsrecht verwehrt. Es gab dann einiges an rechtlichem Hickhack, das damit zu tun hatte, wann man anlassbezogen und nicht-anlassbezogen in den Betrieb darf. Sehr anstrengend. Das war im Herbst 2022.
ver.di: Bevor wir zu den Ereignissen in diesem Jahr kommen, eine kurze Frage dazwischen: Agieren internationale Konzerne heutzutage noch so betriebsrats- und gewerkschaftsfeindlich?
Jonas: Nein, von Konzernen kenne ich so ein Verhalten sonst nicht in dem Ausmaß. Dort herrscht in der Regel ein etwas professionellerer Umgang mit Mitbestimmung. Das Verhalten von Rhenus Logistics in Neu Wulmstorf erinnert an so manchen Mittelständler, an so manches Familienunternehmen.
Löhne am Mindestlohn und wenig Urlaub
ver.di: Wie würdest du denn die Arbeitsbedingungen bei Rhenus Logistics einordnen?
Jonas: Generell gilt: Die Arbeitsbedingungen in der Logistik gehen weit auseinander, auch weil die Unternehmen so unterschiedlich groß sind. Ich denke, Rhenus ist unter vergleichbaren Arbeitgebern gutes Mittelfeld, es gibt Licht und Schatten.
Negativ zu bewerten ist auf jeden Fall die Haltung zu Tarifbewegung und Betriebsrat, da hatten wir drüber gesprochen, das geht besser. Die Löhne im Lager, wo der größte Teil der Kolleg*innen arbeitet, lagen bis zu unserer Tarifbewegung teilweise nur knapp über dem Mindestlohn. Bis dahin gab es auch nur wenig Urlaub und kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld.
Arbeitskräfte aus Ungarn und Litauen
Angesichts des Arbeitskräftemangels ist der Arbeitgeber dazu übergegangen, Kolleg*innen aus Ungarn und Litauen anzuwerben, die dann für ein halbes oder ein ganzes Jahr bleiben. Sie sehen in dieser Zeit ihre Familien nicht, aber verglichen mit den Löhnen in ihren Heimatländern verdienen sie hier gutes Geld.
Die Unterbringung wird vom Arbeitgeber gestellt. Ich habe gehört, dass es sich dabei um ziemlich überbelegte Einfamilienhäuser handelt. Nicht unbedingt die „letzten Löcher“, aber doch ein ziemlich niedriger Lebensstandard.
So entsteht natürlich ein zusätzliches Abhängigkeitsverhältnis zum Arbeitgeber, wenn die Unterbringung von ihm abhängig ist, wenn man die Sprache nicht spricht und die Beschäftigten ihre Rechte nicht kennen. In dieser Situation ist es schwierig seine Rechte wahrzunehmen. Nachvollziehbarerweise waren es diese Kolleg*innen, die den Einschüchterungsversuchen des Arbeitgebers schlecht widerstehen konnten.
Arbeiten bis zur Rente? – Unter den Bedingungen kaum möglich
ver.di: Was ist mit Arbeitssicherheit?
Jonas: Das ist auch ein Thema. Der Standort ist zertifizierter Gefahrenstoffbetrieb, ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal in der Region. Die Beschäftigten arbeiten unter anderem mit Giftstoffen wie Ethanol oder Salpetersäure und vielem mehr. Die Stoffe werden eingelagert, kommissioniert und weitertransportiert. Ich habe mit Kolleg*innen gesprochen, die von Vorfällen erzählt haben: Einmal sei Salpetersäure ausgelaufen und bis auf den Hallenboden gesickert. Jemand hat eine brennbare Flüssigkeit ins Auge bekommen. Auch diese gefährlichen Stoffe sind nicht immer einwandfrei verpackt. Theoretisch kann es dann zu direktem Kontakt kommen.
Es gibt zwar Zulagen für einzelne Aufgaben und für die Qualifizierung in Schulungen, aber es gibt keine allgemeine Gefahrenzulage für das alltägliche Risiko und dass man ein hohes Maß an Konzentration braucht im Umgang mit den Substanzen. Die fordern wir im Tarifvertrag.
Ich muss sagen: Die Arbeitsbelastung ist heftig. Für so schmales Entgeld in Früh- und Spätschicht durchzuhalten bis zur Rente ist schwierig. Auch im kaufmännischen Bereich wird am Standort nicht so viel verdient wie angemessen wäre.
Alles zusammengenommen zeigt: Ein Tarifvertrag, der all diese Dinge regelt, ist längst überfällig!
Kampf um Tarifverträge
ver.di: Was für Aktionen habt ihr gemacht, um die Beschäftigten für den Kampf um den Tarifvertrag zu gewinnen?
Jonas: Unsere erste Aktion war eine Bodenzeitung. So haben wir die Beschäftigten informiert, dass wir für einen Tarifvertrag kämpfen. Dann haben wir eine Umfrage zum Thema Lohn gemacht, nach dem Motto: Wie wichtig ist euch eine Lohnerhöhung? Vierzig Beschäftigte haben gesagt: „Wir brauchen ganz dringend mehr Entgelt.“
Im letzten Herbst ist es uns nach den erwähnten Schwierigkeiten dann gelungen, eine Mitgliederversammlung abzuhalten, auf der diskutiert wurde, wie wir realistische Forderungen aufstellen. Geeinigt haben wir uns dann auf den Logistikflächentarifvertrag Niedersachsen, der unter anderem Löhne, Jahressonderzahlung, Urlaubsgeld und Arbeitszeitregelt.
Dieser Tarifvertrag findet beim Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen Anwendung, der um die 1900 Mitgliedsunternehmen hat. Zusätzlich hatten wir eine Zahlung in Höhe eines Monatsgehalts beschlossen und zwei freie Tage nur für ver.di-Mitglieder.
Statt Verhandlungen: Arbeitgeber spielen auf Zeit
ver.di: So klingt es ja erst mal gut. Wie kam es zu den dramatischen Entwicklungen in diesem Jahr?
Jonas: Wir haben den Arbeitgeber am 1. Dezember 2022 zu Verhandlungen aufgefordert, aber die andere Seite hat – kurz vor Weihnachten – Zeit geschunden. Das würden sie zeitlich nicht hinbekommen, das ginge erst im Januar … Das war dann unser Zugeständnis, dass wir gesagt haben: OK, wir streiken nicht im Vorweihnachtsgeschäft.
Mitte Januar 2023 haben wir uns dann das erste Mal mit den Arbeitgebern getroffen. Es war echt unglaublich: Sie schienen null vorbereitet und kamen einigermaßen unterbesetzt in die Verhandlung. Das hat uns verwundert. Wir haben viel Zeit mit Verständnisfragen verbraucht und dann eingeschätzt: Hier wird bewusst auf Zeit gespielt.
Es gab dann einen weiteren Verhandlungstermin im Januar. Wir wollten dann Dampf machen. Höhepunkt war der erste Warnstreik einen Tag vor der zweiten Verhandlung. Sechzig Aktive waren gekommen, das war eine super Beteiligung!
In der Spitze hatten wir hundert aktive Mitglieder, unsere Aktionen sind super angekommen, auch die Presse hat wohlwollend berichtet. Die zweite Verhandlungsrunde war dann aber innerhalb von 15 Minuten zu Ende. Der Standortleiter hat uns gleich erklärt, dass er sich keinen Tarifvertrag vorstellen kann.
Das Union Busting kommt von der Konzernzentrale
ver.di: Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Jonas: Ob der Standortleiter in Eigenverantwortung beschlossen hat, die Verhandlung abzubrechenwissen wir zwar nicht. Aber die Rückendeckung aus der Zentrale, die bereitgestellten Ressourcen, um den Tarifvertrag abzuwehren, deuten eher darauf hin, dass das in der Konzernleitung entschieden wurde. Dafür spricht, dass in anderen Tarifbewegungen bei Rhenus der Arbeitgeber nach ähnlichem Schema agiert.
Wir haben trotzdem noch mal versucht zu diskutieren, haben ihnen erklärt, was ist, wenn zum Beispiel Aufträge nach Tarifbindung vergeben werden oder was passiert, wenn Tariftreue in Gesetze gegossen und auf einmal mehr und mehr zum Aushängeschild wird …
ver.di: Wie ging es weiter?
Jonas: Am Nachmittag desselben Tags gab es dann auf einmal einen Aushang, in dem die Arbeitgeber Verbesserungen angekündigt haben, im Prinzip enthielt es einen Großteil unserer Forderungen. Man konnte sehen, dass die Ankündigung mit heißer Nadel gestrickt war, sie enthielt keine konkreten Zahlen, nur Versprechungen.
Unter uns haben wir das als ersten Erfolg gesehen, dass der Arbeitgeber sich bewegt und unsere Forderungen nahezu umsetzt. Aber klar: Das kann niemals ein Ersatz für einen verbindlichen Tarifvertrag sein. Denn was sind Versprechungen des Arbeitgebers am Ende wert? Das haben wir auch so in die Belegschaft kommuniziert.
In der Woche darauf sind wir in Warnstreikmaßnahmen gegangen und haben die Früh- und Spätschicht bestreikt – und hatten immer noch eine gute Beteiligung.
Zu dem Zeitpunkt wurde dann die Streikbrecher-Prämie ausgeschrieben. Es hieß: Wer am Streiktag arbeitet, erhält 50 Euro. Wir dachten: Jetzt wird es richtig dreckig, wenn man aus den schlechten Löhnen der Beschäftigten politisch profitiert. Wobei zu sagen ist, dass die Maßnahme legal ist. Die Streikbeteiligung ist nach dieser Aktion zwar etwas heruntergegangen, aber nicht so stark wie vom Management-Team wohl erwartet.
Druck auf Einzelne und Streikbrecherprämien
Es war von Anfang an so, dass die Führungskräfte während der Streiks rumgegangen sind und geguckt haben, wer dabei ist, teilweise haben sie auch Hände geschüttelt und die Leute angesprochen haben, nach dem Motto: „Ach du bist auch dabei …“
ver.di: … subtil Druck machen auf die Einzelnen …
Jonas: Ja, genau. Gegenüber den Kolleg*innen aus Litauen und Ungarn wurde wohl auch angedeutet, sie könnten ihre Unterkunft verlieren. Uns wurde außerdem berichtet, dass ver.di in Morgenrunden schlecht gemacht wurde nach dem Motto „ver.di will nur eure Beiträge“. Es haben sich ja auch Leiharbeiter*innen in ihren Pausen solidarisiert. Mindestens von einem Fall weiß ich, dass derjenige danach „abbestellt“ wurde nach dem Motto: „xy wollen wir nicht mehr.“
Langsam wurde es eng, immer mehr Beschäftigte sind weggeblieben. Um wirklich länger durchzustreiken, hätten wir mehr als die sechzig Beschäftigten gebraucht, die darauf eingeschworen waren. Inzwischen hatte der Arbeitgeber Streikbrecher*innen aus anderen Niederlassungen angefordert. Gleichzeitig wurde der Anteil an Leiharbeiter*innen mit neuen Leuten aufgestockt.
Wir wussten, dass wir für den Moment mit weiteren Streiks zu weit ins Risiko gehen könnten und haben erneut unsere Mitglieder befragt. Das war eine strategische Entscheidung. Wir haben dann eine Mitgliederversammlung gemacht und die Mitglieder haben die Tarifbewegung vorläufig auf Pause gesetzt.
Vorher haben wir die Arbeitgeber aber noch mal mit ihren eigenen Mitteln geschlagen: Wir haben Streiks über zwei Tage angekündigt und formell auch durchgeführt, allerdings mit null Streikenden, alle ver.di-Mitglieder sind arbeiten gegangen und haben so 100 Euro extra Streikbrecherprämie kassiert. Aber auch alle anderen Beschäftigten haben sich über die zusätzlichen 100 Euro gefreut. Den Arbeitgeber haben die beiden Tage Fake-Streik sicher 25.000 Euro gekostet. Anti-Union-Busting-Prädikat: Unbedingt weiterzuempfehlen! (lacht)
ver.di: Ein richtiger Krimi also. Wie ist die Situation jetzt gerade?
Jonas: Wir haben in der Belegschaft immer noch einen guten harten Kern und eine gute Kommunikation untereinander. Erst mal werden wir abwarten, wie die betrieblichen Versprechen des Arbeitgebers umgesetzt werden. Der Betriebsrat begleitet die Umsetzung. Inzwischen bilden wir unsere Mitglieder weiter aus. Die zweite Runde wird sicher kommen.
Die Tarifbewegung bei Rhenus Logistics wächst …
ver.di: Was ist dein Fazit?
Jonas: Wir gehen gestärkt aus dem Konflikt. Wir haben gelernt, wenn man einen Betriebsrat gründet, muss man sich aufeinander verlassen, das schweißt zusammen. Schön ist das Menschliche, dass die Kolleg*innen aus allen Ländern zusammenstehen, auch wenn sie nicht dieselbe Sprache sprechen! Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, gefroren, geschnackt und gemeinsam Fußball gespielt, da war einfach eine super Energie!
Und wir gucken nach links und rechts: Inzwischen gab es eine absolut identische Bewegung an einem Rhenus-Standort in Dortmund, dort spielt sich exakt dasselbe ab. Die Mitgliederbefragung dort hat ergeben: Die ver.di-Mitglieder dort wollen ebenfalls einen ordentlichen Tarifvertrag – und haben sich wie bei uns aus strategischen Gründen vorläufig für die Annahme betrieblicher Verbesserungen entschieden, die sie immerhin erreichen konnten mit der Androhung von Streiks. Wir sind in Solidarität verbunden, haben ihnen solidarische Grüße geschickt und wir werden uns sicher weiter vernetzen
Was die Arbeitgeber betrifft, so glaube ich, werden sie früher oder später Tarifverträge und Tarifpartnerschaft akzeptieren müssen. Denn unsere ver.di-Mitglieder in Neu Wulmstorf haben gemerkt: Wir sind nicht ohnmächtig, gemeinsam sind wir viel stärker als wir bisher dachten.
ver.di: Alles Gute für euren Kampf um Tarifverträge und gute Arbeitsbedingungen und vielen Dank für deine Zeit!
Du arbeitest in der Logistik und willst dich ebenfalls engagieren für gute Arbeitsbedingungen? Hier geht’s lang!
Die Beschäftigten haben ein Recht auf angemessene Bezahlung, genügend Urlaub und eine sichere Arbeitsumgebung. Es ist zu hoffen, dass das betreffende Unternehmen letztendlich die Tarifpartnerschaft akzeptiert und die berechtigten Forderungen der Beschäftigten erfüllt. Der Einsatz der Gewerkschaftsmitglieder ist lobenswert und unterstützenswert. Gemeinsam können sie positive Veränderungen für die Arbeitnehmer erreichen.