Christiane Lehmann: Hallo Aydan, schön dass du dir Zeit für uns genommen hast. Wir wollen uns heute über die gerade abgeschlossene Tarifeinigung im öffentlichen Dienst unterhalten. Aber bevor wir zum Thema kommen – magst du dich kurz vorstellen?
Aydan Fazilet Karakas-Blutte: Mein Name ist Aydan und ich bin bei ver.di Mitglied sowohl in der Bundestarifkommission (BTK) als auch in der Verhandlungskommission (VK) des öffentlichen Dienstes. Seit 2006 bin ich freigestellte Personalrätin bei der Stadtverwaltung Kassel. Davor habe ich 10 Jahre als Sozialarbeiterin im Allgemeinen Sozialen Dienst gearbeitet und war dann mehrere Jahre in der Schulsozialarbeit tätig. Vor meiner Freistellung habe ich zuletzt bei der Jugendgerichtshilfe Täter-Opfer-Ausgleich gemacht. Das ist eine außergerichtliche Vermittlungsstelle zwischen Täter und Opfern, bei denen Mediationsverfahren angewendet werden.
Powerfrau in den höchsten ver.di-Gremien
Christiane: Was ist genau ist denn die Aufgabe der Bundestarifkommission des öffentlichen Dienstes?
Aydan: Die Bundestarifkommission ist das Beschlussgremium für den gesamten Ablauf der Tarifverhandlungen im öD. Weil die Bundestarifkommission immer noch ziemlich groß ist, benennt sie eine Verhandlungskommission (VK), die bei den Verhandlungen dabei ist und in der ich auch bin. Die Bundestarifkommission (BTK) setzt sich zusammen aus Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben, den Landesverbänden und den Fachbereichen und wird alle vier Jahre gewählt.
Christiane: Die BTK ist also für das gesamte Prozedere von der Kündigung der Verträge über die Forderungsaufstellung, die Verhandlungen selbst bis zur Abstimmung über Ablehnung oder Annahme von Verhandlungsergebnissen und des Tarifabschlusses verantwortlich. Mich interessiert besonders: Wie siehst du deine Rolle als Mitglied von BTK und VK?
Aydan: Man hat als Mitglied der BTK im Prinzip die Funktion, die Themen von der Basis mitzunehmen, also das, was die Kolleginnen und Kollegen, die man vertritt, beschäftigt und diese Punkte für seine Leute auch einzubringen. Das gilt aber natürlich für alle Delegierte in der BTK; alle bringen ihre eigenen Themen mit und alle, aus den Betrieben und Landesbezirken, werden gehört. Für mich macht es das besonders spannend, dass die Bundestarifkommission so vielfältig ist.
Als BTK-Mitglied Teil der Verhandlungen und Teil der Basis
Christiane: Ihr BTK-Mitglieder seid ihr in einer Sandwichposition – ihr kommt von der Basis, seid aber Akteure in den Verhandlungen. Ihr vertretet eine kleine Gruppe innerhalb der großen ver.di … ich kann mir vorstellen, dass diese Ansprüche auch im Widerspruch zueinander stehen können …
Aydan: Ja klar. Für einen selbst bedeutet diese Rolle, einerseits die Interessen der eigenen Leute zu vertreten, andersherum Beschlüsse zu fassen, die alle bedienen. Das muss man austarieren können. Wichtig ist, das Ganze im Blick zu haben und abwägen zu können: Was geht in diesen Verhandlungen, was nicht? Auch: Was sind die Folgen, wenn die Tarifverhandlungen scheitern. Tarifverhandlungen sollten nicht an Einzelinteressen innerhalb der eigenen Organisation scheitern. Im Gegenteil man muss die Interessen der anderen mitvertreten und mitverhandeln. Genau das macht für mich aber auch die Solidarität innerhalb der Bundestarifkommission aus.
Christiane: Bevor wir zu dieser ganz besonderen Tarifrunde 2020 kommen, noch eine allgemeine Frage: Wie ist das, wenn du zurückkommst nach Kassel in die Stadtverwaltung zu den Kolleginnen und Kollegen und du weißt, dass ein erzieltes Ergebnis schwer zu vermitteln ist?
Aydan: Es ist nicht so, dass man für jeden Abschluss im Betrieb beklatscht wird. Klar sind nicht immer alle zufrieden. Dann wird es schon mal emotional, auch von beiden Seiten (lacht). Aber in so einer großen öD-Runde über viele Branchen hinweg ist es immer so, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die zufrieden sind, und andere finden das Ergebnis weniger gut. Ich versuche dann zu vermitteln, dass wir eine große Gewerkschaft sind und dass wir diese Solidarität auch leben müssen, dass mal die einen, mal die anderen zufriedener herausgehen. Ich finde das aber erklärbar.
Was mich aber schon emotional anfasst, wenn der Eindruck entsteht, wir hätten etwas nicht geholt, was wir hätten kriegen können. Weil: Das stimmt nicht! Sobald es eine Chance gibt, versuchen wir bis zum Schluss, unsere Forderungen an dem Punkt sehr deutlich zu machen.
Christiane: Die Mitglieder sind ja nicht in den Verhandlungen, die kriegen das nicht mit …
Aydan: Wir haben den Anspruch, so viel wie möglich von den Situationen in den Verhandlungen zu berichten, aber das geht natürlich nicht immer. Es braucht gegenseitiges Vertrauen. Und das erwarte ich von den Kolleginnen und Kollegen, dass sie mir das entgegenbringen. Ich vertraue ihnen ja auch, wenn sie mir sagen, was bei ihnen in den Betrieben schiefläuft. Ohne dieses Vertrauen funktioniert es einfach nicht. Dafür sind wir gewählt.
Alternativlos: die Verschiebung der Verhandlungen im Sozial- & Erziehungsdienst
Christiane: Kommen wir zur aktuellen Tarifrunde im öffentlichen Dienst 2020. Wann wurde dir klar, dass die Corona-Pandemie eine große Rolle in den Tarifverhandlungen spielen würde?
Aydan: Jetzt muss ich erst mal überlegen. Wir waren ja Anfang des Jahres mit der Verhandlungskommission im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE), in der ich auch bin, in Verhandlungen und auf einem gutem Weg.
Februar, März waren wir an einen Punkt gekommen, an dem wir uns fragen mussten: Wie sind eigentlich die Bedingungen? Wir standen kurz vor einem Lockdown. Die Verhandlungskommission SuE hat dann beschlossen, die Verhandlungen zu verschieben. Die Konzentration auf die ÖD Runde unter Corona-Bedingungen erschien uns zu dem Zeitpunkt vorrangig, auch weil wir SuE unter den Bedingungen nicht gut hätten aufstellen können.
Im Rückblick glaube ich, dass wir eine gute Entscheidung getroffen haben, denn beides zusammen wäre unter diesen erschwerten Bedingungen nicht gegangen. Weder parallel und noch schwieriger wäre es gewesen, wenn wir SuE in die öD-Tarifrunde überführt hätten. Erschwerend kam hinzu, dass die Kolleg*innen in den Kitas zu diesem Zeitpunkt mit Corona-Regeln und Gesundheitsschutz beschäftigt waren und weit davon entfernt, in Streiks zu gehen. Insofern war die Verschiebung im Nachgang eine gute Entscheidung.
Christiane: Wobei ich nach Lektüre der Kommentare auf unserer Facebook-Seite den Eindruck habe, dass manche der Kommentator*innen, auch im Sozial- und Erziehungsdienst, das Gefühl haben, im öD-Abschluss nicht besonders gut weggekommen zu sein und in der Enttäuschung kommt dann oft auch der Hinweis auf die immer noch teilweise sehr schlechten Arbeitsbedingungen. Das wird dann irgendwie zusammengemischt und die Umstände werden ausgeblendet, ist mein Eindruck …
Aydan: Der eigentliche Plan war ja tatsächlich, den Sozial- und Erziehungsdienst „fertig“ zu haben vor der öD-Runde, aber das hat wegen Corona dann ja nicht geklappt. Nicht vorstellbar, was gewesen wäre, hätten wir den Tarifvertrag SuE gekündigt; das wäre viel, viel schwieriger gewesen! Und eine Diskussion über Arbeitsbedingungen während des Shutdown – da hätten wir ja gar kein Gehör gefunden zu dem Zeitpunkt.
Tarifrunde im öD: Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Pandemie
Christiane: Durch die ausgesetzte SuE-Runde hast du dich also schon früh im Jahr mit dem Thema auseinandergesetzt … aber dann kam erst mal der Sommer und wir konnten alle etwas durchatmen … : Ungefähr zur Beschlussfassung der BTK über die Forderungen für den öD Ende August stieg in Deutschland auch die Zahl der Corona-Infektionen wieder an. Wann wurde dir klar, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Pandemie wird?
Aydan: Am 25. August haben wir in der BTK die Forderung beschlossen. Ja, da stiegen die Zahlen schon etwas, aber dass uns das so schnell einholen würde, schon im Herbst, also zur Tarifrunde – das war uns nicht SO klar! Ende September, Anfang Oktober waren die beiden ersten Tarifverhandlungen und das erste Angebot der Arbeitgeber erreichte uns am 16. Oktober – und da waren die Zahlen ja schon sehr hoch!
Aber in dieser Sommerzeit – das ist das Gute! – haben wir streiken können. Was wir da auf die Beine gestellt haben – das war schon toll! Die Streiks in den Bundesländern haben ja trotz Corona und der Hygienemaßnahmen und Einschränkungen richtig gut funktioniert. Das war echt beeindruckend, wie viele auf die Straße gegangen sind – und gerade auch meine Leute! Dabei hatten die Kitas gerade erst wieder aufgemacht beziehungsweise waren zum Regelbetrieb unter Corona-Bedingungen zurückgekehrt. Gleiches gilt für die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter.
Mit Abstand & Maske: tolle Streiks & viele innovative ver.di-Aktionen
Christiane: Noch mal zur Mobilisierung: Was für Aktionen hattet ihr denn ganz konkret geplant?
Aydan: In unserem Betrieb wollten wir eine Menschenkette um den Innenstadtkern machen, aber weil wir spät dran waren – am 21.10. –, konnten wir angesichts des Infektionsgeschehens die Aktion so schon nicht mehr umsetzen. Zu dem Zeitpunkt empfand ich die zunehmende Infektionsgefahr schon als extrem anstrengend. Dieses Mantra vor jeder Aktion: Es geht gut. Es geht gut … Weil: Es musste einfach gutgehen! Diesen Vorwurf, dass wegen ver.di Menschen erkranken, den wünscht sich niemand. Aber es ist dann ja auch gut gegangen.
Statt der Menschenkette hat dann jede Belegschaft vor dem eigenen Betrieb gestreikt. Und vor jedem Haus gab es eine eigene Aktion – allerdings mit viel weniger Menschen. Außerdem hatten wir zu einer Fotopetition aufgerufen. Mit dem Banner, auf dem alle Gesichter drauf waren, sind wir auch vorm Rathaus gewesen und konnten zeigen, wie viele wir eigentlich ohne die Pandemie gewesen wären. Das hat also alles noch geklappt, war aber haarscharf.
Ich muss wirklich sagen: Das tolle Engagement der Kolleginnen und Kollegen in dieser Situation hat uns Verhandler*innen später die entscheidende Kraft gegeben, diese besonders schwierigen Verhandlungen doch so gut zu Ende zu bringen!
Christiane: Ich fand übrigens, weil man so kreativ & flexibel sein musste, sind auch mal ganz andere, sehr schöne neuartige Streikbilder entstanden. Manchmal erwächst ja aus der Not auch etwas Gutes, Neues.
Aydan: Ja genau. Entsprechend hatten wir richtig gute Presse und es war auch ein Verständnis dafür da, dass die Kolleg*innen in Zeiten von Corona da waren – Daseinsvorsorge. Sie waren für die Menschen da, haben für die Gesellschaft viel geleistet – ob in den Kliniken, im Gesundheitsamt, ob es in der Kita ist, der Hausmeister oder die Reinigungskräfte, der Stadtreiniger, der Busfahrer. Und deswegen konnten wir auch unsere Forderungen so selbstbewusst verteidigen.
Tarifverhandlungen öD 2020: unfaires Spiel auf Zeit der Arbeitgeber
Christiane: Und da sind wir schon beim Thema. Die Arbeitgeber nämlich. Wie hast du vor dem Hintergrund das Verhalten der Arbeitgeberseite in dieser Tarifrunde empfunden?
Aydan: Ich muss sagen, ich habe es zum ersten Mal, seit ich bei Tarifverhandlungen dabei bin, so empfunden, dass ich das Verhalten der Gegenseite nicht fair fand. Corona wurde nach meinem Empfinden von ihnen so benutzt, als ob SIE eigentlich auf die Situation gar keinen Einfluss hätten und der Schwarze Peter wurde allein uns zugeschoben. Meiner Meinung nach hätte der Arbeitgeber sehr wohl Möglichkeiten gehabt, die Situation zu entschärfen.
Es war ja schon vorher klar, dass es wegen der Pandemie keine „normale“ Tarifrunde werden würde. Auf unser Angebot, einen Kurzläufervertrag bis zum Frühjahr abzuschließen, sind sie nicht eingegangen. Weil sie wahrscheinlich geglaubt haben, dass wir die Tarifrunde unter den Umständen nicht hinkriegen oder dass sich die Öffentlichkeit gegen uns wendet. Aber das hat nicht funktioniert.
Gesicht gezeigt hat der Arbeitgeber dann mit dem völlig inakzeptablen Angebot vom 16. Oktober. Damit wurde deutlich, was sie in dieser Runde vorhaben. Das war ein Angebot, das man nicht akzeptieren konnte. Zudem haben sie dann ja noch eigene Themen eingebracht, die wir nicht hinnehmen konnten – wie der sogenannten „Arbeitsvorgang“, was ein Angriff auf die Entgeltgruppen war, also langfristige Einschnitte in die Eingruppierungen der Kolleginnen und Kollegen. Dass wir das nicht akzeptieren würden, haben wir sehr deutlich gemacht.
„Unmoralisches Angebot“ macht ver.di stark
Christiane: Kann man also sagen, dass die Augenhöhe in der Tarifpartnerschaft durch das Verhalten der Arbeitgeber beschädigt wurde?
Aydan: Ich finde, wenn man gemeinsam miteinander verhandelt, gehört es auch dazu, gemeinsam die Bedingungen zu betrachten, unter denen die Verhandlungen stattfinden. Und die Arbeitgeber haben genau diese schwierigen Bedingungen gegen uns ausgespielt. Mein Gefühl: Sie wollten die Chance nutzen, dass – wenn wir etwas kriegen -, sie auch etwas bekommen. Und um es ganz deutlich zu sagen: Der Arbeitsvorgang war bis zum Schluss auf dem Tisch. Es hätte auch alles daran scheitern können. Dasselbe gilt fürs sogenannte Leistungsentgelt. Das sind Gelder, die den Arbeitnehmern zustehen, die sie auf einmal fürs Marketing, für die Arbeitgeber-Attraktivität einsetzen wollten. Das geht gar nicht.
Christiane: Aber auch im beruflichen und persönlichen Umfeld hat sich sicher ab einem bestimmten Zeitpunkt die Pandemie bemerkbar gemacht … Wie hat sich in deinem Betrieb die Stimmung verändert, deiner Wahrnehmung nach, als die Infektionszahlen stiegen …
Aydan: Am Anfang war schon die große Sorge da: Wie soll das alles gehen? – Aber ich muss sagen, mit dem Angebot der Arbeitgeber änderte sich das! Da war die Stimmung auf einmal: „Jetzt erst recht!“ Wir hatten natürlich auch Kolleginnen und Kollegen, die gesagt haben, sie können sich einen Streik jetzt nicht vorstellen, aber die meisten waren entschlossen, sich das nicht gefallen zu lassen. Ich erinnere mich an eine Erzieherin, die erzählte, wie sehr sie ihr Privatleben einschränkt, um die Krankheit nicht mit in die Kita zu nehmen – aber der Streik war ihr wichtig: „Ich passe auf mich auf, aber ich bin hier!“
Tarifverhandlungen öffentlicher Dienst: Showdown in in der dritten Runde
Christiane: Mit welchem Gefühl bist du nach Potsdam zur dritten Verhandlungsrunde gefahren? Zum einen wegen der verfahrenen Situation auf Verhandlungsebene – die Arbeitgeber hatten eine knappe Woche vorher dieses unmögliche „Angebot“ präsentiert -, aber auch wegen der Pandemie. Die Infektionszahlen waren mittlerweile in die Höhe geschossen, der der zweite Shutdown lag in der Luft. Wir in der Bundesverwaltung waren alle selbst verunsichert, ob die Tarifrunde wie geplant im Kongresshotel in Potsdam stattfinden würde … trotz der Hygienemaßnahmen.
Aydan: Als es so weit war, bin ich, was die Verhandlungen anbetraf, mit dem guten Gefühl, einem Gefühl der Stärke hingefahren, weil wir gute Streiks gehabt hatten. Auf der anderen Seite das Infektionsgeschehen – die Frage, ob die Verhandlungen in Potsdam überhaupt noch stattfinden konnten, war im Grunde innerhalb von drei Tagen aufgekommen, weil die Zahlen so rasend stiegen … Man stellte sich dann auch die Frage: Kann es passieren, dass die Verhandlungen wegen Corona abgebrochen werden? Und diese Unsicherheit blieb dann auch über die drei Tage – ganz unabhängig davon, dass man sich ja auch noch überlegen musste: Was machen wir eigentlich mit den Arbeitgebern – und die mit uns?
Diese Gefühle liefen parallel und es ist wirklich irre, dass wir trotz dieser Bedingungen, die wir hatten, trotzdem extrem fokussiert waren. Wir hatten als Verhandlungskommission vor Ort diese Präsenzsitzungen mit – für Corona-Zeiten – vielen Menschen in einem riesigen Raum. Natürlich nach strengen Corona-Regeln, mit Mundschutz beim Aufstehen, zum Beispiel wenn man zum Mikro ging. Die BTK-Mitglieder, die normalerweise in der dritten Runde auch vor Ort dabei sind, wurden online zugeschaltet. Wenn es um die Themen ging, haben wir aber das Drumherum ganz ausschalten können. Das war eine irrsinnige Disziplin!
Einmal wurde ein Kollege aus seiner Wohnung live zugeschaltet, der am Ende seines Beitrags sagte, dass er selbst erkrankt sei und deswegen nicht hatte streiken können. In dem Moment wurde man daran erinnert, wie verrückt das alles war. Trotzdem: Wir haben das nicht infrage gestellt. Wir wussten: Wir müssen weitermachen. Die Sorge, dass abgebrochen werden könnte, war groß. Wenn man Pause hatte, war bei den meisten das Bedürfnis: RAUS! An die frische Luft, Maske ab und tief Luft holen!
Ich muss sagen, das Hygienekonzept des Hotels fand ich überzeugend. Trotz allem hätte etwas passieren können und das wäre fatal gewesen. Nach 14 Tagen habe ich gedacht: Guck mal, wir sind alle gesund geblieben! Das hat meinen Eindruck noch mal bestätigt.
„Es war eine besonders solidarische Tarifrunde und darauf bin ich stolz!“
Christiane: Drei Tage nach den Verhandlungen hatten wir dann den Teil-Lockdown … Wie ordnest du das Tarifergebnis ein? Konntet ihr eure Ziele erreichen?
Aydan: Uns war es absolut wichtig, noch in diesem Jahr die unteren Entgeltgruppen zu stärken. Seit ich dabei bin, seit 2009, fordern wir das immer wieder. Die prozentualen Erhöhungen bedeuten in den unteren Lohngruppen immer weniger im Portemonnaie als in den oberen. Deswegen die Idee, den unteren Lohngruppen diesmal den Mindestbetrag zu geben. Das haben wir hingekriegt! Das war ein wichtiges Ziel in dieser Runde und dazu stehe ich auch!
Deshalb: Diese Tarifrunde war eine solidarische Runde! Wir wollten einerseits für die unteren Entgeltgruppen kämpfen, die diese Anhebungen gerade besonders nötig brauchen, und dann aber auch für jene, die in der Pandemie besonders nah am Menschen waren! Das galt in dem Fall besonders für den Gesundheitsbereich, für die Gesundheitsämter und die Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort arbeiten. Und endlich dann auch – nach über 30 Jahren – die Ost-West-Angleichung der Arbeitszeit. Und das haben viele Kolleg*innen auch verstanden. Dieser Gedanke, in dieser Runde die zu fördern, die es am Nötigsten brauchen, wurde sicher kontrovers diskutiert, aber von den meisten getragen!
Zu Beginn der Krise gab es einige, die erst Bedenken hatten und meinten: „Mir geht es eigentlich ganz gut. Ich möchte nicht unbedingt streiken in dieser Situation, in der es vielen schlechter geht als mir, die zum Beispiel in Kurzarbeit oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind. In dieser Situation können wir nichts fordern.“ Und ich habe geantwortet: „Doch! Du solltest mitmachen! Für diejenigen, die diese Erhöhungen wirklich brauchen und verdient haben.“ Einer meinte: Ich schäme mich! Ich habe ihm gesagt: „Guck dir an, um wen es hier geht! Du musst dich nicht schämen! Wir in ver.di sind viele und wir gehören zusammen!“
Tarifergebnis öD 2020: gute Rückmeldungen von der Basis
Christiane: Wie sieht es nach der Tarifrunde 2020 in deinem Bereich, dem Sozial- und Erziehungsdienst aus?
Aydan: Was meinen Bereich, den Sozial- und Erziehungsdienst, angeht, weiß ich, dass viele unserer Kolleg*innen auch bessere Arbeitsbedingungen wollten – aber das, was wir geholt haben, ist das Beste, was jetzt unter diesen Bedingungen möglich war! Und was die Rückmeldungen angeht, haben wir auch hier eine breite Zustimmung, weil sie sagen: Zu mehr wären wir jetzt nicht in der Lage gewesen.
Wenn mir mal jemand gesagt hätte, dass man unter solchen Bedingungen, mit Maske und Plastikhandschuhen beim Essen, Verhandlungen führt, das hätte ich eigentlich nicht für möglich gehalten (lacht).
Klar gibt es wie in jeder Tarifrunde Themen, die man nachfassen muss. Ich finde aber, dass wir wichtigsten Forderungen durchgesetzt, sogar mehr. Mehr wäre nicht gegangen. Wir haben jetzt den Lockdown und man sieht ja, wie die Situation ist. In Anbetracht der Tatsache, dass es außergewöhnlich schwierige Verhandlungen waren, haben wir viele Rückmeldungen, dass es ein gutes Ergebnis ist und das stärkt mich in meiner Einschätzung.
Christiane: Danke Aydan, dass du dir die Zeit für uns genommen hast.
Alle Informationen rund um die Tarifrunde im öffentlichen Dienst 2020 findet ihr auf https://unverzichtbar.verdi.de/
Hört doch endlich auf mit der rechtfertigenden Selbstbeweihräucherung. Der Rettungsdienst, systemrelevant, an vorderster Front kämpfend. Immer am Limit zur Zeit!
– wurde in keinster Weise berücksichtigt. Keine Wechselschichtzulagenerhöhung. Keine Stundenreduzierung. EG N kennt ihr bestimmt gar nicht. Einfach zum 🤮
… und die Sparkassen habt ihr auch hinten runter fallen lassen. Sie waren offensichtlich das Bauernopfer auf dem Weg zur Gesamteinigung.
So kann man die Tarifrunde bestenfalls als *teilweise* solidarisch bezeichnen – und das gibt’s nicht, genauso wenig wie halb schwanger.
Keine Tariferhöhung zum April!
Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) hat gestern am späten Nachmittag mitgeteilt, dass die Auszahlung der vereinbarten Tariferhöhung von 1,4 Prozent ab 1. April 2021 zunächst nicht erfolgen soll.
Eine Größere Missachtung der Leistungen der Beschäftigten gerade in Zeiten einer Pandemie ist kaum vorstellbar. Schon in der Tarifrunde hatten die Arbeitgeber ganz offensichtlich versucht, die Situation auszunutzen in der Erwartung, dass die Beschäftigten nicht in der Lage sind, ihre berechtigten Interessen wegen der Corona-bedingten Einschränkungen durchzusetzen. Jetzt kommt die nächste Provokation. So sieht Sozialpartnerschaft in einer Ausnahmesituation aus!
Wie soll man als Mitarbeiter reagieren! Sprecht mit euren Betriebsräten und Gewerkschaftsmitgliedern, um gemeinsam gegen dieses Verhalten der VKA vorzugehen. Ohne Reaktion darf es nicht bleiben!