Von Conny Berger, Leiterin Kommunikation in der ver.di Bundesverwaltung
Berliner Krankenhausbewegung: ein gewerkschaftlicher Erfolg
Pünktlich zum neuen Jahr tritt ein Tarifvertrag in Kraft, der für mich einen Meilenstein für 2021 darstellt: Der Entlastungstarifvertrag bei der Berliner Charité. Er ist das Ergebnis einer beeindruckenden Tarifauseinandersetzung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, bessere Personalausstattung und Bedingungen für die großen Berliner Krankenhäuser Charité und Vivantes sowie die Vivantes-Tochterunternehmen zu erkämpfen. Ein beeindruckender Kampf, der auch gleich eine Antwort darauf gegeben hat, welche Taten öffentliche Arbeitgeber oder Arbeitgeber, die im Eigentum der öffentlichen Hand sind, ihren Lobeshymnen auf den Einsatz der systemrelevanten Kolleg*innen folgen lassen werden.
Wider den Pflegenotstand: Veränderungen müssen erkämpft werden
Das Jahr 2 der Pandemie war in dieser Hinsicht ernüchternd beziehungsweise „ent-täuschend“ im Wortsinn. Dafür haben wir jetzt die Gewissheit, auch dann nichts geschenkt zu bekommen, wenn die Corona-Krise über einen längeren Zeitraum Missstände im sozialen und gesellschaftlichen Miteinander deutlich sichtbar macht.
Wir als ver.di sehen diese Missstände und packen sie an. Wie die besagte Berliner Krankenhausbewegung. Die ihrerseits den Staffelstab von ver.di-Kolleg*innen übernommen hat, die schon an 15 Krankenhäusern bundesweit entsprechende Entlastungstarifverträge durchgesetzt haben, denn der Pflegenotstand ist ja nicht neu.
Pflegestreik im Wahlkampf trifft Solidarität der Stadtgesellschaft
Corona und bevorstehende Landtagswahlen, das war die Ausgangssituation der Berliner Krankenhausbewegung von ver.di, die – die Hand ausgestreckt in Richtung der Stadtgesellschaft – auf die Solidarität der Berliner*innen gesetzt hat – erfolgreich! Der politische Druck, der sich darüber aufgebaut hat, war immens, kaum eine Wahlkampfveranstaltung, die ohne das Thema Entlastung für die Berliner Krankenhäuser über die Bühne ging, keine Kandidat*innen, die sich aus der Verantwortung stehlen konnten.
Rechtzeitig vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wurde dann gestreikt mit all den Nöten und Sorgen, die das für Kolleg*innen in den Gesundheitsberufen mit sich bringt: Sind meine Patient*innen gut versorgt, auch wenn ich streike? Gefährde ich jemanden mit dem Streik? – Das sind Fragen, die laufend geklärt werden mussten. Letzten Endes war klar: Die Streiks sind Notwehr. Die Kolleg*innen haben gestreikt, um Schlimmeres zu verhindern, ihnen blieb keine Wahl, nachdem am Verhandlungstisch keine Lösungen gefunden werden konnten, die Entlastung aber wesentlich für die Versorgung der Patient*innen ist. Auch dafür gab es eine überwältigende Solidarität der Berliner Bürger*innen.
Gewerkschaftlicher Erfolg durch Solidarität und eigene Stärke
Und am Ende stand der Erfolg – und nicht nur einer. In allen drei Tarifauseinandersetzungen (Entlastung Charité & Vivantes sowie öD-Angleichung der Vivantes Töchterunternehmen) haben die ver.di-Kolleg*innen sich durchgesetzt, sich gegenseitig unterstützt und klargemacht, dass das ein gemeinsamer Kampf mit gemeinsamem Ziel ist. Dass dieses Ziel erreicht wurde, ermutigt und zeigt, wie viel wir erreichen können, wenn wir auf Solidarität und unsere eigene Stärke setzen. Der Staffelstab geht jetzt von Berlin aus nach Nordrhein-Westfalen, dort ist im Mai Landtagswahl und Entlastung an den Unikliniken dringend notwendig-Übrigens auch als Mittel gegen Fachkräftemangel, wie die Kolleg*innen, wo die Entlastung schon länger tarifvertraglich vereinbart ist, feststellen.
Pandemie-Gewinner & schlechte Arbeitgeber: Lieferdienste
Auch die Kolleg*innen im Handel waren im Streik und auf den Straßen, auch sie mussten sich mehr Lohn hart erkämpfen. Dabei wissen wir alle, wie wichtig ihr Einsatz für unsere Versorgung mit im Wortsinn Lebenswichtigem ist und damit ist nicht nur Klopapier gemeint.
Aber auch im Handel gibt es disruptive Entwicklungen. Ich wage zu behaupten, dass der Lieferdienst Gorillas ohne die Pandemie nicht das erfolgreiche Start-up wäre, das innerhalb eines Jahres fast eine Milliarde Dollar an Investitionen einsammelt.
Erst durch Home Office und Social Distancing hat sich der Trend etabliert, vom heimischen Sofa aus noch schnell einen Karton Eier oder eine Tüte Haferflocken zu ordern. Das ist der Trend, der den Gorillas die Investitionen in die Kasse spült und den Markt der Lieferdienste in eine Kampfzone verwandelt, in der immer noch aggressiver um meine Kaufentscheidung gebuhlt wird.
Digitale Geschäftsmodelle gegen betriebliche Mitbestimmung
In diesem Trend, spielt auch Amazon eine nicht unmaßgebliche Rolle, das Unternehmen, dessen Gewinn sich in der Corona-Zeitrechnung fast verdreifacht hat, das sich aber nach wie vor mit Händen und Füßen gegen Tarifverträge wehrt.
Die Gorilla-Chefs wollen auch keine Mitbestimmung und würden ihre Beschäftigten auch lieber ungestört ausbeuten. Gerichte haben dem im vergangenen Jahr einen Riegel vorgeschoben und auch wenn das Unternehmen auf Bestrebungen, Betriebsräte zu gründen, mit Zergliederung reagiert, ist damit sichergestellt, dass auch ein Start-up-Wunderkind sich an geltendes Recht zu halten hat – immerhin. Ich finde, das reicht nicht.
Die post-pandemische Gesellschaft als Chance für Gewerkschaft
Zusammen genommen betrachtet zeigen diese Entwicklungen, worauf es ankommt in der neuen Normalität, die uns Corona beschert: Es wird nicht wieder so sein wie vorher und das ist auch gut so. Wir können diese neue Normalität gestalten und bestimmen, welche Rolle Solidarität und Verteilung darin zu spielen haben. Wir haben die Macht, Dinge so zu verändern, dass sie besser werden und wir sollten diese Macht nutzen.
Indem wir Ansprüche formulieren, wie wir uns unsere Versorgung in Krankenhäusern vorstellen. Indem wir uns überlegen, wer die Zeche zahlt, wenn wir uns unsere Einkäufe bringen lassen. Indem wir gemeinsam die Verhältnisse, die schlecht sind, überwinden: Das sollten wir uns vornehmen für dieses Jahr, denn von alleine ändert sich nichts.
Klatschen allein reicht nicht und wenn wir diese Veränderung nicht angehen, tut es womöglich niemand. – Und es gibt genug gute Beispiele für erfolgreiche Kämpfe, die uns ermutigen, direkt loszulegen!
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Cornelia Berger, Leiterin Kommunikation in ver.di, schreibt in unregelmäßigen Abständen auf diesem Blog darüber, was die Gewerkschaft bewegt.
Sie studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Staatsrecht und arbeitete als Journalistin. Seit 2001 ist sie bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) als Pressesprecherin des Bundesvorstands, Geschäftsführerin der dju in ver.di und Bereichsleiterin Medien in der ver.di-Bundesverwaltung.
Seit Oktober 2020 leitet sie den Bereich Kommunikation.