* Elena heißt im wirklichen Leben ganz anders, ihr Name ist der Redaktion bekannt, die Fotos sind beispielhaft und haben nichts mit der Porträtierten zu tun.

Mein Name ist Elena. Ich bin seit 17 Jahren beim Jugendamt im Allgemeinen Sozialen Dienst tätig. Ich bin seit meinem Studium in diesem Beruf, den direkten Weg bin ich trotzdem nicht gegangen. 

Bis heute ist meine Arbeit im Jugendamt meine Berufung

Geboren und aufgewachsen bin ich in einer eher ländlichen Region in Süddeutschland. Ich war erst auf einer Hauswirtschaftsfachschule und habe als Hauswirtschafterin gearbeitet. Danach habe ich – in meinen frühen Zwanzigern – einen Job in einer Kleinkindbetreuung ergattert. Rückblickend muss ich sagen: ohne richtige Ausbildung – eine Fahrlässigkeit vonseiten meines damaligen Arbeitgebers, wie ich aus heutiger Sicht finde. Das waren dann auch die ersten Schnittmengen mit meinem heutigen Beruf.

Im Anschluss habe ich den zweiten Bildungsweg einmal komplett durchlaufen: erst das Fachabi, anschließend habe ich an der Fachhochschule Soziale Arbeit studiert. Diese Wahl war zunächst eine pragmatische Entscheidung. Ich wollte etwas machen, wo die berufliche Perspektive greifbar ist. Aber schon sehr bald habe ich meinen Beruf als Berufung empfunden.

Mein Anerkennungsjahr habe ich in einer Beratungsstelle gemacht, die aber viel zu klein war, um dort den administrativen Teil der Ausbildung absolvieren zu können. Deswegen hat mich die lokale Stelle an die Leitung des Allgemeinen Sozialen Dienstes in der Kreisverwaltung empfohlen. Eigentlich hatte ich ganz andere Pläne, ich wollte in die Familienhilfe. Aber es passte so gut, dass ich im Allgemeinen Sozialen Dienst im Jugendamt geblieben bin. Und das werden jetzt bald 20 Jahre. (lacht)

Jugendamt: Bei unserer Arbeit stehen Menschen im Mittelpunkt

Die Arbeit wird nie langweilig, denn das Aufgabenfeld ist breit. Zum einen beraten und unterstützen wir Familien, die sich in Konflikten und Krisensituationen befinden, zum Beispiel bei Trennung oder Scheidung. Wenn Scheidungen eingereicht werden, werden die Betroffenen automatisch über Beratungsangebote, unter anderem bei uns, informiert. Im Vordergrund steht für uns der Kinderschutz – zum Beispiel die Trennungsfolgen für Kinder zu mildern.

Wir vermitteln Unterstützungsangebote, werden aber auch selbst aktiv – das ist der Fall, wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegen könnte. Bei uns gehen Meldungen von außen ein, beispielsweise aus Kindergärten oder Schulen, die wir überprüfen. Wir wirken in familiengerichtlichen Verfahren hinsichtlich Sorgerecht und Umgang mit, wenn Eltern sich nicht außergerichtlich einigen können und regen diese bei Bedarf auch an. Wir fragen in Kindergärten und Schulen nach, ob vereinbarte Schritte eingehalten wurden … Wenn es gar nicht anders geht, bereiten wir die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen vor.

Wir sind Netzwerker*innen, Flexibilität ist ein Muss

Hinter allen Fällen, die bei uns landen, stecken Schicksale, kein einziger Fall ist wie der andere – und die Lösungen auch nicht. Wir bieten den gesamten Katalog erzieherischer Hilfen in ambulanter, teilstationärer oder stationärer Form an. Dazu gehören neben der Sozialpädagogischen Familienhilfe unter anderem Hilfen für junge Erwachsene oder Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche oder Jugendgerichtshilfe. Das ist ein weites Feld an Aufgaben und jede*r von uns Kolleginnen und Kollegen deckt das ganze Spektrum ab.

Was wir bieten, ist Begleitung: Mit der Erstellung der Sozialpädagogischen Diagnostik finden wir, gemeinsam mit den betroffenen Familien, die geeignete und notwendige Hilfe, setzen Maßnahmen in Gang, begleiten diese über den gesamten Gewährungszeitraum und entwickeln sie, an den Bedürfnissen der Betroffenen entlang, weiter.

Bei allen Prozessen, die Familien betreffen, geht es im ersten Schritt um die Einbindung aller Beteiligten – und das können viele sein: Kinder und Jugendliche selbst in Bezug auf Entscheidungen, die sie betreffen, ihre Eltern, die Schulsozialarbeit, Kitas, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kinderärzte, Jugendzentren, Gerichte, Vormünde und Verfahrensbeistände … Wir sind sozusagen ein “Netzwerkbetrieb”, bei uns laufen alle Fäden zusammen. 

Das bringt natürlich zahllose Termine mit sich. Neben der Koordinierung all dieser Termine müssen wir zu jedem Schritt Dokumentation machen – auch für den Fall, dass wir uns rechtfertigen müssen. Die Dokumentation nimmt sehr viel Zeit ein, die meisten Termine müssen vor- und nachbereitet werden. Dazu kommt der fachliche Austausch im Team. Wir arbeiten viel mit Vier-Augen-Prinzip – also werde ich auch zu Fällen der Kolleg*innen hinzugezogen.

Arbeit im Jugendamt: Der Kinderschutz bestimmt das Arbeitstempo

Zu den zahllosen Terminen am Telefon und in der Verwaltung kommt der Außendienst. Wir sind verpflichtet, jedes Kind, das von uns betreut wird, mindestens zwei Mal im Jahr zu sehen. Das heißt, wir machen Hausbesuche oder fahren in die Einrichtungen. Diese Regeltermine kommen dann auch noch dazu.

Für die tägliche Arbeit bedeutet das, dass im Prinzip eigentlich nichts läuft wie geplant. Das ist der Standard. Flexibilität ist in meinem Beruf eine der wichtigsten Eigenschaften (lacht). Man plant im Prinzip einen Tag mit Terminen und in der Verwaltung – Telefonate, Hilfeplanungen in Präsenzterminen oder im Außendienst, Teambesprechungen oder Zeit für administrative Aufgaben … Aber oft läuft es dann ganz anders. Jederzeit kann ein neuer Fall reinkommen, auch in Vertretung für eine*n Kolleg*in. Gerade wenn es um Kinderschutz geht, müssen wir sofort handeln, da gibt es gesetzliche Vorgaben. Je nach Ersteinschätzung kann das bedeuten, dass ich sofort alles absage und spontan rausfahre.

Bevor ich losfahre, gibt es Ad-hoc-Besprechungen. Die Ersteinschätzung zur Schwere der Gefährdung wird mit den Kolleg*innen abgesprochen. Auch wenn ein Kollege, eine Kollegin raus muss, kann es deswegen sein, dass ich aus meinen Arbeitsprozessen herausgerissen werde.

Wir treffen unter zu hohem Zeitdruck Entscheidungen über Menschen

Die Arbeitsbelastung ist riesig, es wird gefühlt immer mehr. Die Fallzahlen pro Sozialarbeiter*in steigen. Es sind so viele Fälle, dass man immer das Gefühl hat, man wird der Sache fachlich nicht gerecht. Ein Kind aus einer Familie herauszunehmen, ist eine tiefgreifende Entscheidung. Wir tragen große Verantwortung. Manchmal ist man sich trotz aller Erfahrung nicht ganz sicher. In einer anderen Situation würde ich weitere Gespräche mit den Betroffenen, mit Kolleg*innen führen, um eine Entscheidung herbeizuführen, bei der ich mir ganz sicher bin – aber dazu ist einfach keine Zeit. Dieses Gefühl, aus Zeitmangel möglicherweise falsche Entscheidungen zu treffen, die große Konsequenzen für die Leben anderer Menschen haben, ist eine enorme psychische Belastung.

Diese Situation macht auf Dauer krank. Deswegen habe ich – wie sehr viele meiner Kolleg*innen – meine Stunden reduziert. Es war eine Wahl ohne Wahl. Ich wusste: Wenn ich nicht reduziere, gehe ich unter diesem Druck kaputt. Damit bin ich nicht alleine. Es sagt alles, dass in einem Team von 16 Fachkräften mittlerweile nur noch fünf Vollzeitkräfte sind.

ÖD 2022: Arbeitsdruck, Befristungen und schlechter Lohn

Leider ist es so, dass Teilzeit eben auch zu weniger Lohn führt. Und mit dem Weniger auszukommen, belastet auch wieder. Hinzu kommt: Viele Stellen sind oft befristet. Wer sich für den öffentlichen Dienst entscheidet, erwartet gerade hier Sicherheit. Druck und Unsicherheit, bei Teilzeit dann auch ein geringeres Einkommen – all das führt zu einer hohen Fluktuation unter den Kolleg*innen, gerade die jungen gehen wieder, wenn sie sicherere Angebote erhalten. 

Weil Nachbesetzungen nicht einfach oder nicht dauerhaft sind, sind viele Stellen unbesetzt. Es gibt bei uns eigentlich IMMER Vakanzen. Nicht nur dass wir für die unbesetzten Stellen mitarbeiten: Durch die Fluktuation bin ich kontinuierlich damit beschäftigt, Neue einzuarbeiten. Das ist sehr frustrierend, zumal wenn man sich schon nebenbei überlegt, wie lange der*die neue Kolleg*in wohl bleiben wird. Nebenbei raubt mir die permanente Einarbeitungs-Situation auch Zeit für meine eigene Arbeit.

Wenn ich zurückblicke, hat sich die Situation über die letzten zehn Jahre verschärft, davon in den letzten fünf Jahren noch mal deutlich. Und das hat Auswirkungen: Klar kommen Impulse von den Neuen, das finde ich auch gut. Auf der anderen Seite merkt man aber auch, wie Fachkompetenz schwindet, weil immer mehr lang gediente Kolleg*innen in den Ruhestand gehen und nur wenige der neuen dauerhaft bleiben.

Wir schaffen unser Pensum nur, weil wir eine gute Teamkultur haben, niemand von uns hat innerlich gekündigt. Wir achten aufeinander und sind bereit, für die anderen ein hohes Engagement zu erbringen, im Zweifelsfall auch in unserer Freizeit. Dass am Ende davon der Arbeitgeber profitiert, ist die ungute Seite der Medaille.

Corona: Wir mussten unsere Arbeitsweise von einem Tag auf den anderen über Bord werfen

Die Corona-Pandemie ist eine große Zusatzbelastung in der eh schon katastrophalen Situation. Wir mussten in dem Frühjahr 2020 ja von einem Tag auf den anderen nahezu unser gesamtes Arbeits-Setting über Bord werfen. Die formalen Ansprüche an unsere Arbeit sind ja dieselben, aber der Methodenkoffer existierte nicht mehr. Wir mussten ganz schnell neue Lösungen finden, um den Kontakt zu unseren Klient*innen nicht zu verlieren.

Wir hatten geschlossen, durften aber auch keine Hausbesuche machen. Das Einzige, was noch ging, war telefonischer Kontakt. Anhand eines Telefonats die Situation im häuslichen Umfeld oder in einer Einrichtung einzuschätzen, ist eigentlich unmöglich. Du weißt einfach nicht, ob ein Kind, eine Jugendliche, eine Mutter frei sprechen kann. Oder du hast eine Familie, über die du Entscheidungen treffen musst, nie persönlich getroffen. Das ist sehr schwierig. 

Ich muss sagen: Dieses Arbeiten hat große fachliche Abstriche mit sich gebracht. Für mich selbst fand ich das sehr anstrengend & sehr belastend. Trotz aller Professionalität nimmst du diese tiefen Zweifel mit nach Hause.

Allgemein glaube ich, dass sich in der Zeit im Lockdown viel aufgestaut hat, ein hohes Maß an häuslicher Gewalt. Da kommt noch einiges auf uns zu, was sich in den letzten zwei Jahren verschlechtert hat …

Digitaler Warp-Antrieb für den öffentlichen Dienst

Corona hat aber tatsächlich auch einige positive Aspekte gebracht, nämlich was die Arbeitsweise angeht. Es ist im Frühjahr 2020 eine Entwicklung gelaufen, die nach meiner Einschätzung im öffentlichen Dienst sonst 10 bis 15 Jahre gedauert hätte. Die Ausstattung mit Laptops und dass Mobiles Arbeiten auf einmal möglich war. Dass wir Plattformen nutzen durften und daraus resultierend jetzt zum Beispiel die Möglichkeit haben, zusätzlich mit Videokonferenzen zu arbeiten, finde ich gut. Die Arbeitgeber in der Verwaltung waren da ja eher zurückhaltend. Es herrschten Ängste, dass Menschen ohne Anwesenheitspflicht nicht arbeiten. 

Anerkennung muss sich in den Lohn-Strukturen ausdrücken

Und für all das finde ich, dass wir einfach zu wenig verdienen, die Bezahlung ist einfach zu gering. Wir werden im ASD nach S14 bezahlt, schon mal besser als die Kolleg*innen in der klassischen Sozialarbeit mit S12. Aber dass es da nichts mehr drüber gibt – keine S16, sage ich mal, das fände ich wenigstens angemessen.

Obwohl ein Studium Voraussetzung ist zu unserem Beruf, sind wir in den Tabellen eher auf dem Niveau von Verwaltungsangestellten angesiedelt. Hinzu kommt, wir müssen viel wissen und sind in unserem Portfolio breit aufgestellt. Wir lernen ständig dazu, die ganze Sozialgesetzgebung verändert sich zum Beispiel ständig. Da fehlt mir die Anerkennung, dem Anspruch des Arbeitgebers muss die monetäre Anerkennung Rechnung tragen.

Gewerkschaft ist für mich selbstverständlich
Aktion von Sozialarbeiter*innen des Jugendamtes Berlin Friedrichshain-Kreuzberg
Foto: Renate Kossmann

Gewerkschaft war für mich immer selbstverständlich. Damit bin ich aufgewachsen, dass gewerkschaftliche Arbeit wichtig ist. Schon seit meinem Berufseinstieg in der Hauswirtschaft bin ich Gewerkschaftsmitglied. Vom Grundsatz her finde ich, dass man sich als Arbeitnehmerin engagieren muss. (lacht) Ich gebe zu, ich bin auch schon aus Frust ausgetreten, aus Ärger über die Umwandlung von BAT in den TVöD. Und man kriegt halt nicht immer das Tarifergebnis, das man sich wünscht. Manchmal wünsche ich meiner Gewerkschaft mehr Haare auf den Zähnen in den Verhandlungen. Durchgängig Gewerkschaftsmitglied in ver.di bin ich jetzt seit 2014. 

Tarifrunde 2022: tabellenwirksame Anerkennung unserer Leistung

Von der aktuellen Tarifrunde erwarte ich eine tabellenwirksame Anerkennung in Form einer Gehaltssteigerung – auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, den wir mit unserer eigenen Arbeitskraft ausgleichen müssen. Und ein besserer Lohn würde auch den Fachkräftemangel beseitigen: Wenn man in dem Beruf mehr verdient, würden mehr Leute Soziale Arbeit studieren und vielleicht auch bleiben.

Ich freue mich auf die Aktionen zur Tarifrunde. Mit meinen Kolleg*innen habe ich Glück. Mein Team ist gewerkschaftlich sehr aktiv. Viele Kolleginnen und Kollegen sind organisiert und echt kämpferisch drauf. Aber im gesamten Bereich, in der Kreisverwaltung, generell in der Sozialen Arbeit ist auf jeden Fall noch Luft nach oben, was den Organisationsgrad angeht.

Du arbeitest ebenfalls in einem Sozial- und Erziehungsberuf und möchtest dich in der Tarifrunde 2022 engagieren? Hier findest du alle Infos, wie du dich einbringen kannst.

Du möchtest mehr lesen, wie es deinen Kolleg*innen in den Sozial- und Erziehungsdiensten geht?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert