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Klimawandel, Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie – dieser Tage wird spürbar: Unsere Welt ist längst im Umbruch, höchste Zeit, den Wandel zu gestalten, Brüche abzufedern und stattdessen die Chancen zu nutzen! Doch wie gehen wir mit den gegenwärtigen Herausforderungen Digitalisierung, CO2-Minderung und demografischer Wandel um?

Darüber sprechen wir drei Tage lang im Rahmen der ver.di-Zukunftstage mit Vertreter*innen aus Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Die Vorzeichen sind nicht ganz einfach: Corona und die große Politik durchkreuzen kurzfristig die Programmplanung, aber auch das heißt Zukunftsfähigkeit: flexibel sein und einen Plan B in der Hinterhand zu haben! Es moderiert übrigens der wunderbare Volker Finthammer, den viele von uns aus dem DLF Morgenmagazin kennen. Die ganze Veranstaltung könnt ihr im Stream nachsehen.

Zukunft ist, was wir daraus machen
Eröffnungsfilm der Zukunftstage

Die Transformation betrifft und verändert natürlich auch die Dienstleistungsbranchen, die ver.di organisiert: die Energieversorgung, die privaten Dienstleistungsbranchen oder den öffentlichen Sektor – und betrifft damit auch uns alle. Denn ohne diese Bereiche ist unser Alltag, wie wir ihn kennen, gar nicht denkbar: Unsere Mitglieder und ihre Kolleg*innen versorgen uns mit Strom und Internet, mit Wärme und Wasser, Gesundheit, Bildung und Kultur, mit Post und Waren, sie sorgen für den Transport auf der Straße, auf dem Wasser und in der Luft. In Corona hieß das: systemrelevant!

Gastgeber Frank Werneke: eine Mammutaufgabe

In seiner Eröffnungsrede – übrigens virtuell, denn der Vorsitzende ist gerade in Quarantäne – greift Frank als Erster die entscheidenden Faktoren der Transformation auf – Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie, die „die drei Ds“. Er verweist auf die Größe der Aufgabe, für deren Bewältigung alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenstehen müssen, und verdeutlicht im Weiteren, welche Lösungen aus gewerkschaftlicher Sicht erforderlich sind.

Wie Transformation abläuft, wenn wir sie nicht mitgestalten, zeigt er anhand der Disruption in der Medienbranche Anfang der Neunziger. Unter dem Stichwort „Multimedia“ führte – besonders im Zeitungswesen – der Bruch zu massivem Stellenabbau und Tarifflucht. Ein abschreckendes Beispiel, wie Wandel NICHT ablaufen darf.

Digitalisierung: Mitbestimmung & Gesetze für die digitale Arbeitswelt

Franks Forderung in Bezug auf Digitalisierung: Wir müssen Grundrechte wie Teilhabe, Diskriminierungsfreiheit, den Schutz von Persönlichkeitsrechten und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in die digitale Welt übersetzen.

Statt Arbeitsverdichtung und mehr Kontrolle müssen wir die Chancen der Digitalisierung nutzen: Arbeitserleichterungen schaffen, Arbeitsplatzverluste vermeiden. Hier warten große Herausforderungen auf die Mitbestimmung!

Und es gibt so viele Teilaspekte, die der Regelung bedürfen: Recht auf Home Office / Telearbeit: Ja – aber der Betrieb als Ort der Begegnung muss erhalten bleiben. Oder: Die Plattform-Ökonomie hat neue Beschäftigungsformen hervorgebracht, die durch ein erneuertes Betriebsverfassungsgesetz klar geregelt werden müssen.

Dekarbonisierung: Gas- & Strompreisbremse JETZT!

Auch was die Dekarbonisierung angeht, findet Frank klare Worte: „Wie ein Junkie hat sich Deutschland von verbilligten Energieimporten aus Russland abhängig gemacht. Jetzt im Krieg gegen die Ukraine setzt Präsident Putin Gaslieferungen als Waffe gegen die Länder ein, die seinen Kriegszug nicht unterstützen.“

Sehr kurzfristig bedarf es jetzt Maßnahmen gegen den Anstieg von Inflation und steigenden Preisen. Frank: Kurzfristig brauchen wir eine Preisbremse für Gas und Strom und ein gesichertes Kontingent zu den Preisen vor der Krise für alle Privathaushalte. Auch für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen braucht es Lösungen.

Auch beim Ausbau erneuerbarer Energiequellen drängt es, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, in allen Bereichen, aber speziell im Gebäude- und Verkehrssektor ist die Lage katastrophal. Wir fordern außerdem zwingend sozialverträgliche Wege für die Beschäftigten der fossilen Energieträger. Genauso wichtig für die sozial-ökologische Verkehrswende: massive Investitionen in den ÖPNV, aber auch die Dekarbonisierung von Luft- und Schifffahrt. Investitionen heißt für Gewerkschafter*innen immer auch: gute Arbeitsbedingungen für die dort Beschäftigten!

Demografischer Wandel: Gute Arbeits- & Ausbildungsbedingungen schützen vor Personalmangel

Fachkräftemangel ist beim dritten D das zentrale Stichwort. Frank zeichnet deutlich ein Bild der katastrophalen Situation in der Krankenhaus- und Altenpflege, aber auch in der Verwaltung oder Bildung & Erziehung, im ÖPNV. Für die Krankenhäuser fordert ver.di die Umsetzung von PPR 2.0, für den öffentlichen Dienst – zusammen mit Bund, Ländern und Gemeinden – eine gemeinsame Strategie zur Gewinnung, Bindung und Entwicklung von Fachkräften. 

Weitere Forderungen: Mehr Weiterbildung ermöglichen, Erleichterung von Zuwanderung, Einbindung von Frauen und Geflüchteten und vor allem attraktivere, moderne, kostenfreie Ausbildungswege, mit gesicherten Standards und attraktiven Aufstiegs- und Entwicklungsoptionen (wie der duale Ausbildungsweg). Für all diese Maßnahmen gilt: Hier ist noch jede Menge Luft nach oben.

Damit waren unsere Forderungen im Raum – wie geht es weiter?

Jan Dieren (SPD): Im gemeinsamen politischen Prozess die Zukunft gestalten
Jan Dieren (Bundestagsabgeordneter SPD)

Jan Dieren, Bundestagsabgeordneter der SPD und im Ausschuss Arbeit und Soziales, plädiert für einen gemeinsamen politischen Prozess, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu organisieren. Er wendet sich explizit gegen eine Individualisierung, nach dem die Verantwortung – zum Beispiel für die Klimawende – hauptsächlich bei den Einzelnen liegt (Trend Energiesparen). Stattdessen müssen wir als Gesellschaft in einem politischen Prozess demokratisch entscheiden, wie wir mit der aktuellen Situation umgehen und wo wir gemeinsam verzichten wollen.

Er weist weiterhin darauf hin, dass Verzicht unvermeidbar sei: „Wir sind bereit für Wohlstandsverluste und sollten sie dort organisieren, wo sie keine Sorgen und Schmerzen bereiten, dort, wo viel Reichtum und Wohlstand ist.“ Er ergänzt, dass die Zahl der Millionäre in Deutschland allein gegenüber dem Vorjahr extrem gewachsen sei.

Gleiches gilt für den Bereich demografischer Wandel: Wir müssen weiterbilden und gute Arbeitsbedingungen schaffen. Auch das ist eine politische Entscheidung. Wir müssen gegen Union Busting vorgehen und stattdessen Mitbestimmung ausweiten, die Kolleginnen und Kollegen müssen in die Transformation mit eingebunden werden.

Berufliche Praxis: Wir brauchen eine Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung
Franziska Aurich, JAV im Uniklinikum Ulm

Nächster Programmpunkt: Input aus der beruflichen Praxis. Zu Gast sind Betriebs- und Personalrät*innen aus unterschiedlichen Branchen, die ihre Forderungen formulieren.

Franziska Aurich, Jugendauszubildendenvertretung im Universitätsklinikum Ulm: Ich mag meinen Job und ich möchte ihn auch lange ausüben können. Ich möchte in der Lage sein, den Patient*innen die bestmöglichen Therapiemöglichkeiten zu geben. Die Arbeitsbedingungen sollten so sein, dass beides möglich ist. Das sind sie im Moment nicht. Ökologisch ist im Krankenhaus auch rein gar nichts, das muss sich ändern!

In Richtung meiner Kolleg*innen: Es müssen mehr junge Menschen in die Mitbestimmung, da rede ich mir den Mund fusselig. An ver.di: ver.di muss im Krankenhaus weiterhin präsent bleiben. Meine Botschaft an die Politik: Raus aus dem Fallpauschalensystem, man macht keinen Profit mit Pflege! PPR 2.0 muss kommen, und zwar ohne Lindner. Und: Wir brauchen mehr Rechte für Jungend- und Auszubildenvertretung!

Britta Bittner, Betriebsrätin IKEA

Britta Bittner, Betriebsrätin IKEA: Die Digitalisierung wird bei IKEA großgeschrieben, das Geschäftsmodell verändert sich – click und collect ist eine neue digitale Funktion. Für die Kolleg*innen in der Fläche bedeutet Digitalisierung aber nur immer weniger Personal und immer mehr Druck, der ist unglaublich hoch, genauso wie der Krankenstand. Wir brauchen den Tarifvertrag Digitalisierung, H&M hat den schon, bei uns sagen sie, das geht nicht.

Von ver.di erwarte ich, dass ver.di noch mehr Druck auf die Politik macht, sonst geht der Handel unter. Wir brauchen mehr Rechte in der Mitbestimmung und wir brauchen die Tarifbindung, damit wir uns nicht gegenseitig kannibalisieren.

von links nach rechts: Britta Bittner, seit 22 Jahren bei IKEA; Frank Dethlefsen von der Stadt Köln, Franziska Aurich, Jugendauszubildendenvertretung an der Uniklinik Ulm und Ulrike Lennartz-Pipenbacher, Deutsche Post AG

Frank Dethlefsen, Personalrat bei der Stadt Köln, erinnert an Erfolge aus der ver.di-Vergangenheit. Für die Zukunft wünscht er sich: ver.di soll für die Mitglieder da sein, unsere Rente sichern und Weiterbildung ermöglichen. Seine Botschaft an die Politik: Wir brauchen ebenfalls dringend einen Digitalisierungstarifvertrag!

Vierte im Bunde ist Ulrike Lennartz-Pipenbacher, stellvertretende Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei der Post AG. Hier ist Robotik ein großes Thema, ebenso wie Qualifizierung und Gesundheit der Beschäftigten. Sie sagt: „Wir schützen die Kolleginnen und Kollegen durch Gesamtbetriebsvereinbarungen. Wir haben in einem Fall sogar die Möglichkeit für Sanktionierungen durchgesetzt. Ggf. wird das gesamte System still gelegt – Das ist aber noch nicht passiert. ich bin überzeugt: genau deswegen weil wir dieses mächtige Instrument durchgesetzt haben. Grundsätzlich gilt für uns: Der Mensch steht an erster Stelle, die Maschine kommt danach.“

So unterschiedlich die Probleme in den Branchen auch sind, eint die vier eine Forderung: Wir brauchen eine Stärkung der Mitbestimmung! Was sagt die Wissenschaft dazu?

Wissenschaftlich belegt: Mitbestimmung ist gut für den Betrieb

Eine ganz hervorragende Ergänzung dazu ist der nächste Beitrag von Claudia Bogedan von der Hans-Böckler-Stiftung, die zu Wandel in der Arbeitswelt forscht. Es sei ein Modell vorherrschend, nach dem viele Menschen es nicht schaffen, bis zum Renteneintritt arbeiten können,“ sagt @bogedan. Das muss sich dringend ändern – vor allem in Anbetracht von Fachkräftemangel und demografischem Wandel.

Druck und Arbeitsverdichtung führen dazu, dass viele Fachkräfte gehen. Claudia Bogedan: „Viele von ihnen würden unter anderen Bedingungen zurückkommen, da gibt es ein großes Potenzial!“ Und: „Überall wo es eine starke Mitbestimmung gibt, läuft es besser, gibt es weniger Fachkräftemangel. Das ist Stand der Wissenschaft.“

Claudia Bogedan blieb zur anschließenden Diskussion gleich auf der Bühne. Hinzu kamen Anna Christmann, die für die Bundesregierung als Koordinatorin für Raum- und Luftfahrt verantwortlich und mit ihren Themen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) angesiedelt ist, Tanja Haas, Personalrätin vom Energieanbieter n-ergie Nürnberg sowie die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis. Anna Christmann: Es wird im BMWK gerade sehr viel Arbeitskraft benötigt für diesen Winter, aber natürlich arbeiten wir auch an den großen Fragen der Zukunft, wirtschaftliche Aspekte sollen immer mit sozialer Gerechtigkeit einher gehen. Sie begrüßt die Einbindung der Beschäftigten und ver.dis Engagement und stellt dann ihre Start-up-Strategie vor. Hm.

Andrea Kocsis betont gegenüber der Vertreterin des BMWK: Natürlich sind wir als ver.di dabei, die Transformation betrifft ja unsere Mitglieder. Der Blick geht zu oft in Richtung Industrie, die Dienstleistungsbranchen fallen oft hinüber, dabei sind die Bereiche für die Transformation nicht mehr zu trennen – zum Beispiel Autohersteller und Zulieferer, sprich Logistik. Die Debatten gehen oft eher in Richtung Industrie und Industriestandorte. Das muss sich ändern.

Hier geht es zur Abschlussdiskussion an Tag 3 mit Dennis Radtke (Mitglied der Europäischen Parlaments, CDU), Prof. Dr. Johanna Sprondel (Professorin für Medien und Kommunikation), Professor Ulrich Walwai vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und dem Vorsitzenden der ver.di-Jugend Kai Reiners.

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