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ver.di: Hallo Pascal, wer bist du und was machst du beruflich bei der Berliner Stadtreinigung?

Pascal: Ich bin Pascal Zimmer, 32 Jahre alt und arbeite bei der Berliner Stadtreinigung als Tourenmeister bei der Müllabfuhr. Ich habe zwei Kinder, fünf Jahre und elf Monate. Mein drittes Kind ist vierbeinig: mein Hund. (lacht) Meine Familie ist mein Rückzugsort und mein Hobby. Wenn ich zuhause bin, ist aller Stress vergessen. Zusätzlich betreibe ich Kraftsport um dem Alltagsstress zu entkommen.

Angefangen bei der Berliner Stadtreinigung habe ich 2013 als Müllwerker. Nach kurzer Zeit wurde ich als Kraftfahrer eingesetzt. Ich bin einige Jahre auf dem Wagen gefahren und hatte eine eigene Hausmülltour. Ende 2017 habe ich mich für die zweijährige Ausbildung zum Tourenmeister entschieden und arbeite seitdem in diesem Beruf.

Berliner Stadtreinigung: Deutschlands größtes kommunales Abfallwirtschaftsunternehmen

ver.di: Vielleicht zuerst ein paar Worte zur deinem Arbeitgeber, der Berliner Stadtreinigung (BSR) – wie ist sie aufgestellt?

Pascal: Die BSR ist mit 6.000 Beschäftigten Deutschlands größtes kommunales Abfallwirtschaftsunternehmen. Sie besteht aus mehreren Säulen: Hauptverwaltung, Straßenreinigung, Müllabfuhr, einschließlich Abfallbehandlung sowie Hauptverwaltung. Die Müllabfuhr entsorgt die Abfälle von rund zwei Millionen Haushalten. Angegliedert an die Müllabfuhr sind die Recyclinghöfe und der Sperrmüll-Abholservice. 

Darüber hinaus betreibt die BSR unter anderem das Berliner Müllheizkraftwerk, zwei Biogasanlagen sowie einige weitere Anlagen. Zur Straßenreinigung gehört noch der Winterdienst. 

Es gibt in Berlin vier Betriebshöfe, die zur Müllabfuhr gehören und über die Stadt verteilt sind. Von dort starten die Touren, dort stehen die Wagen und dort ist auch mein Arbeitsort.

Müllwerker*in: ein echter Knochenjob
Foto: privat

ver.di: Bevor wir zu deinen Aufgaben als Tourenmeister kommen, die Frage, wie läuft denn grundsätzlich so eine „normale“ Schicht auf dem Wagen ab?  

Pascal: Vorweg: Die meisten Leute werfen ihren Müll in die Mülltonne und ahnen nicht, was für Prozesse hinter der Entsorgung stecken. (lacht)

Die Schicht auf dem Wagen beginnt morgens um sechs. Hausmüll-Touren sind regulär mit einem*r Kraftfahrer*in und zwei Müllwerker*innen besetzt. Anders als viele andere Entsorgungsunternehmen in Deutschland holen wir die Tonnen im sogenannten Vollservice. Das bedeutet, dass wir sie vom letzten Hinterhof und aus dem tiefsten Keller holen und auf die Straße zum Müllwagen bringen. Es gibt Stadtteile in Berlin mit besonders vielen Altbauten, die meist über mehrere Hinterhöfe miteinander verbunden sind, diese Touren sind besonders anstrengend. In anderen Städten ist das ganz anders, da müssen Anwohner*innen oder Hausmeister*innen die Tonnen selbst auf die Straße stellen, sonst wird nicht geleert.

Bei der Biomüll-Tour gibt es einen Fahrer und einen Müllwerker. Man denkt es erst nicht, aber: Diese Tour ist fast noch anstrengender, finde ich. Die Kolleginnen und Kollegen müssen ja auch zu zweit in alle Haushalte rein. Die Tonnen sind zwar kleiner, aber auch schwerer wegen der gegorenen Biomasse, im Unterschied zum Beispiel zum leichten Verpackungsmüll.

Während einer Schicht ist der Wagen zwei bis drei Mal voll und wir fahren zum Müllheizkraftwerk Ruhleben zum „Abkippen“, danach geht es jedes Mal zurück zur regulären Tour ins Ladegebiet. Ziel ist es, am Tag eine bestimmte Menge „Anschläge“ zu schaffen, das heißt: eine bestimmte Anzahl an Tonnen abzukippen. Normale 2-rädrige und 4-rädrige große Tonnen werden dabei unterschiedlich berechnet. 

Die Arbeit auf dem Wagen ist schon ein Knochenjob. Wir arbeiten sehr, sehr zügig, das geht zack-zack. Der Umgang miteinander ist schon mal etwas rauer. Wir laufen mehrere Kilometer am Tag und sind hohen Belastungen sowie unterschiedlichen Witterungsbedingungen ausgesetzt. Als gelernter Koch vergleiche ich das immer mit der Gastronomie. In der Küche ist der Druck phasenweise auch hoch und es geht ja auch etwas härter zu. 

Müllkraftfahrer*innen bei der BSR: acht Stunden psychische und physische Anstrengung

ver.di: Wie gestaltet sich so ein Tag für die Fahrer*innen?

Pascal: Wir Müllkraftfahre und -fahrerinnen sind „Lenk-Akrobat*innen“ oder Künstler*innen am Steuerrad, sage ich immer. In Berlin parken viele Autos kreuz und quer und so ein Müllwagen ist fast zehn Meter lang. Oft ist das Einparken Millimeterarbeit. Wir müssen viel rangieren, manchmal passt gerade mal eine Handy-Breite zwischen den Müllwagen und das nächste Fahrzeug. 

Sehr belebte Straßen, wo die Autos schon mal zweireihig parken, sind besondere Herausforderungen. Wenn es gar nicht anders geht, müssen wir die Polizei holen und das andere Fahrzeug wird abgeschleppt. Das geht nicht anders. Wir haben den Auftrag, die Tonnen zu leeren. Wenn wir aus irgendwelchen Gründen nicht leeren können, müssen wir das dokumentieren. Das kommt auch noch zur eigentlichen Arbeit hinzu.

Sieben Stunden lang im Stadtverkehr so einen großen Wagen zu fahren, ist psychisch wie physisch sehr anstrengend. Zumal auch die Kraftfahrer*innen beim Müll mithelfen, Behälter mit heranziehen, die Tonnen abkippen und dann den Jungs und Mädels zurückgeben. Dabei müssen wir darauf achten, immer in Sichtweite des Wagens zu bleiben. 

Neuer Job Tourenmeister: vom Müllwagen an die Uni
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ver.di: Kommen wir zu deinem aktuellen Job. Was macht denn ein Tourenmeister oder eine Tourenmeisterin?

Pascal: Tourenmeister*innen koordinieren und planen die Touren, und sorgen dafür, dass rundherum und organisatorisch alles klappt. Wir fahren aber auch selbst bei Touren mit und übernehmen außerdem Aufgaben aus dem Kundendienst. Damit die Touren reibungslos funktionieren, kommen noch viele weitere administrative Aufgaben dazu. Mein Einsatzort ist sowohl der Müllhof als auch das Ladegebiet des Hofes.

Vorweg muss ich vielleicht sagen, dass wir der erste Jahrgang bei der BSR in dieser Funktion sind. Ende 2017 gab es bei uns eine Umstrukturierung. Ziel war es, die damaligen Einsatzleiter und -leiterinnen zu ersetzen, die jetzt nach und nach in Rente gehen. Stattdessen wurde die Tourenmeister*innen eingeführt. 

Für mich und die Kolleg*innen hieß das erst mal zwei Jahre Fernstudium in Dresden. Das war eine ganz schön harte Zeit, muss ich sagen. Aber es hat sich gelohnt: Mein Titel nach dem Abschluss lautet jetzt „Meister für Kreislauf, Abfallwirtschaft und Städtereinigung“.

Eine Neuerung besteht darin, dass die Tourenmeister*innen im Unterschied zu der alten Funktion näher an den Kolleginnen und Kollegen auf der Straße dran sein sollen. Deswegen ist in unserer Aufgabenbeschreibung auch festgeschrieben, dass wir einen Teil unserer Arbeitszeit bei Touren mitfahren und ganz normal mitarbeiten. Gleichzeitig sind wir Ansprechpartner*innen für die Kolleg*innen auf den Wagen und Schnittstelle zum Management. Wir betreuen weniger Kolleg*innen als damals die Einsatzleiter*innen, eben weil der Kontakt zu den Touren näher sein soll. Wie gut das klappt, darauf komme ich gleich noch zu sprechen.

Als ich noch als Kraftfahrer gearbeitet habe, dachte ich immer: Was machen die Einsatzleiter eigentlich den ganzen Tag so, während wir schuften …? – Jetzt weiß ich es … (lacht) Langweilig ist es denen auch nicht geworden. Klar, man hat nicht die ganze Zeit die körperliche Belastung, anstrengend ist es trotzdem. Denn es sind viele Aufgaben und es werden tendenziell immer mehr.

Fachkräftemangel auch bei der BSR: Überstunden und Samstagarbeit

ver.di: Wie sieht denn so ein Arbeitstag bei dir aus? 

Pascal: Ich fange morgens um 5.30 Uhr mit der Arbeit an – und habe eine halbe Stunde Zeit, bis die Touren starten. In dieser halben Stunde kommen die Krankmeldungen rein und kurzfristige Urlaubsanträge, dringende Familienangelegenheiten wie Geburten oder das Kind ist krank – ich habe 30 Minuten, um den Personalplan entsprechend zu aktualisieren. Besonders montags ist der Krankenstand hoch und es kommt öfter vor, dass ich viele Touren noch mal umstellen oder Leute von ihren Stammtouren nehmen muss. 

Die Personaldecke ist oft dünn, der Fachkräftemangel allgegenwärtig. Wenn zu viele Leute erkrankt sind, wie im Moment, fallen Touren aus. Sie müssen aber natürlich gemacht werden, weil die Entsorgung gesetzlich vorgeschrieben und die BSR vom Land Berlin dazu beauftragt ist. Die ausgefallenen Touren verschieben sich dann in der Regel um einen Tag. Wenn eine Tour beispielsweise dann erst am Dienstag anfängt, zieht sich der Abfuhrturnus bis in den Samstag.

Es gibt Tage, an denen ich spontan mitfahre, damit die Tour nicht liegen bleibt. Wie oft das vorkommt? – Das ist ganz unterschiedlich. Mal fahre ich länger nicht raus, dann wieder eine Woche am Stück. 

„Als Tourenmeister bin ich die eierlegende Wollmilchsau“
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ver.di: Der Fachkräftemangel ist wirklich ein großes Problem. Deswegen muss der öffentliche Dienst attraktiver werden – klar! Aber erst mal weiter in deinem Arbeitstag …

Pascal: Gerne. Bis gegen 7 Uhr morgens kommen die Rückfragen der Kolleg*innen von den Touren, zum Beispiel wenn das Fahrzeug defekt ist, wenn Baustellen im Weg sind, von denen wir nichts wussten. Nach 7 Uhr bearbeite ich Kundenanfragen und Beschwerden. Wenn irgendwo nicht geleert wurde, halte ich Rücksprache mit der Tour, frage nach dem Grund und antworte den Kund*innen. Wir müssen auf Tour immer dokumentieren, warum wir in Einzelfällen nicht leeren. 

Anschließend mache ich Gebietsfahrt. – Das heißt ich fahre raus, mache Stichproben bei den Touren: Ist am Fahrzeug alles vorschriftsmäßig? Sind Warndreieck und Verbandskasten vorhanden? Funktioniert der Schwenkarm? Wenn ich weiß, dass im Bereich meiner Touren größere Baustellen sind, fahre ich hin und bespreche mit der Bauleitung, wie wir die Müllabfuhr rund um die Baustelle organisieren. Vielleicht kommen die Mieterinnen und Mieter in den einzelnen Bauabschnitten ja gar nicht an ihre Mülltonnen. Wenn du stattdessen dann Sammelbehälter aufstellst, musst du natürlich die Anwohner*innen, aber – aus Hygienegründen – auch das Bezirksamt informieren. An einer größeren Baustelle hängt für mich meistens eine ganze Menge Arbeit dran. 

Ein weiterer Teil meiner Aufgaben besteht im sogenannten „Stoffstrom Management“. Hier geht es ums Abladen der Fahrzeuge: Wo werden welche Mengen Müll abgeladen? Die Mengen sind vorgeschrieben: Der größte Teil geht zum Müllheizkraftwerk in Ruhleben. Andere Fuhren meines Betriebshofs gehen zur MPS-Anlage in Reinickendorf, wo der Müll nicht verbrannt, sondern recycelt wird. Ich muss tagesgenau den Überblick haben und dafür sorgen, dass die vereinbarte Menge in den entsprechenden Anlagen ankommt.

„Sozialkompetenz und Flexibilität sind das A und O in meinem Job“

Zwischendurch passieren jeden Tag irgendwelche unerwarteten Sachen: Eine Tour ruft an und informiert mich, dass es einen Unfall gab. Ich frage nach Personenschäden, sage ihnen, wann sie die Polizei anrufen sollen etc. Es kommen aber auch schon mal Anrufe wie: „Hilfe mein Fahrzeug brennt! Hinten kommt weißer Rauch raus.“ Da muss schnell gehandelt werden. Die Tour muss einen Ort finden, um den Müll abzuladen, ich rufe – falls nötig Feuerwehr und Straßenreinigung … In solchen Fällen muss ich gegebenenfalls selbst rausfahren und nachsehen: Können die Jungs und Mädels so weiterfahren oder nicht? 

Als Schnittstelle zwischen den Kolleg*innen, die die Touren fahren, und dem Management kommen in meiner Arbeitswoche zu alldem noch einige Besprechungen, zum Beispiel mit dem Hofleiter.

Gegen 13 Uhr kehren die ersten Touren zurück. Das bedeutet für mich: Ich führe Tourengespräche. Ich gebe Informationen von den Führungskräften an die Kolleg*innen weiter und frage nach Problemen. Dabei geht es viel um Menschliches: Kommen die Kollegen und Kolleginnen gut miteinander aus oder gibt es Konflikte? Muss ich ein Machtwort sprechen oder vielleicht sogar die Zusammensetzung einer Tour ändern? Dazu kommen Neueinstellungen. Ich muss die Arbeit der Neuen beurteilen und gebe dann entsprechende Rückmeldung an die Personalabteilung. Gerade bei größeren Einstellungswellen ist der Aufwand nicht zu unterschätzen. Hinzu kommen Einweisungen in die Arbeitssicherheit und Urlaubsplanungen. Um 14 Uhr habe ich dann Feierabend. Manchmal fahre ich aber deutlich später vom Hof.

Als Tourenmeister musst du vor allem mit Menschen reden können und soziale Kompetenz zeigen. Durchsetzungsfähigkeit ist wichtig. Wenn es nötig ist, musst du Streits schlichten. Vor allem darfst du nie vergessen, wo du hergekommen bist. Insgesamt kann man sagen: Ich bin Mädchen für alles, die eierlegende Wollmilchsau.

Die Arbeitsbedingungen bei der BSR sind gut – aber es gibt immer noch einiges zu verbessern!
Video zur TVöD-Runde 2023

ver.di: Gibt es bei euch denn strukturelle Probleme? – Vom Fachkräftemangel haben wir schon gehört. Was ist mit Überalterung, Arbeitszeiten, maroden Strukturen oder der Bezahlung? Als Personalrat hast du da ja wahrscheinlich einen Überblick …

Pascal: Vorweg gesagt, die BSR ist eine sehr guter Arbeitgeberin. Ich bin orange durch und durch und trage unsere Farbe aus voller Überzeugung auf der Brust. Trotzdem gibt es Dinge, die unbedingt verbessert werden müssen. 

Der Fachkräftemangel ist enorm. Unterbesetzung ist sowieso ein generelles Müllabfuhr-Problem. Vonseiten der Arbeitgeber wird meines Erachtens oft zu spät gehandelt, Stellen werden beispielsweise zu spät ausgeschrieben. In den letzten Monaten fallen pro Woche teilweise bis zu sechs Touren aus, die dann in der laufenden Woche nachgeholt werden müssen. Die Personaldecke ist oft zu dünn: Es werden vom Arbeitgeber genauso viele Leute eingestellt, wie gebraucht werden. Obwohl in jedem Jahr eine Personalberechnung mit Ausfallquote ermittelt wird, über vier Höfe hinweg.

Was sich auf jeden Fall ändern muss: Im sogenannten „Gedinge-Bereich“ (das sind zum Beispiel die Müllwerker*innen) gibt es zwar eine Ausfallquote, im angestellten Bereich, wo ich als Tourenmeister jetzt angesiedelt bin, aber leider nicht. Das bedeutet, es gibt nur eine Person, die mich vertritt. Das ist ein Riesenproblem – du hast ja gehört, wie viele Aufgaben ich habe. Wie soll die eine Vertretung die doppelte Arbeit schaffen?!

Wir brauchen eine neue Personalbedarfsrechnung
Foto: Joana Georgi

Ich meine: Wir brauchen eine neue Personalbedarfsrechnung, weil die jetzige an vielen Stellen veraltet ist. Es gibt zu viele Faktoren heutzutage, die nicht in die Berechnung einfließen, mit denen ich im Alltag aber zu tun habe – zum Beispiel Väter in Elternzeit, aber auch Väter, die ihre Kinder dauerhaft versorgen.

Nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes arbeiten wir fünf Tage die Woche. Weil das Arbeitszeitgesetz aber den sechsten Tag, also den Samstag, als Arbeitstag einschließt, fahren wir seit Mai durchgehend auch am Samstag. Das geht natürlich auf Dauer gar nicht. Überstunden können so auch nicht abgebaut werden. Das geht an die Substanz aller Beschäftigten.

Konkurrenz gibt es absurderweise im öffentlichen Dienst selbst: Unsere Fachkräfte werden zum Beispiel von anderen Berliner Ver- und Entsorgungsbetrieben abgeworben, wo Kranführer oder Schaltwarte für den gleichen Job höher eingruppiert werden. Das muss sich ändern. Die Leute dürfen nicht so niedrig, sondern so gut wie möglich eingruppiert werden.

Aber auch was die Tourenmeister*innen angeht, ist längst nicht alles geklärt. Bevor wir die Ausbildung angefangen haben, hieß es, dass wir ganz nah an den Touren dran sein sollen. Gleichzeitig bekommen wir immer mehr administrative Aufgaben zugewiesen, so dass immer weniger Zeit als Ansprechpartner für Fahrer*innen und Müllwerker*innen bleibt. Im Moment macht der Austausch mit den Touren ungefähr 30 Prozent meiner Arbeitszeit aus. Und das reicht längst nicht aus, um alle Gesprächsbedarfe der Kolleg*innen zu erfüllen. Wenn ich mit einer Person länger rede, stehen drei andere schon hinter mir und warten. 

Und es kommen in Zukunft weitere administrative Aufgaben auf uns Tourenmeister*innen zu. Bis 2030 soll im Kundendienst abgebaut werden. Ich muss jetzt schon 20 Prozent Kundendienst machen – der Anteil wird garantiert weiter steigen. 

Als Personalräte sind wir gerade dabei, ein großes einheitliches Aufgabengebiet für die Tourenmeister*innen zu schaffen, anstatt dass alle Bestandteile in Prozente umgerechnet werden. Der Druck muss raus. Auch mit der Eingruppierung sind wir nicht ganz zufrieden.

Grundsätzlich muss man aber sagen: Bei der BSR geht uns es finanziell gut. Aber gleichzeitig hat man gerade das Gefühl: Der Zenit ist erreicht. Ich tue etwas dafür, dass die BSR ein guter Arbeitgeber bleibt.

TVÖD-Runde 2022: Der Reallohnausgleich muss sein!

ver.di: Wie sieht es mit der gerade anlaufenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst aus? Wie hast du, haben die Kolleginnen und Kollegen die Forderungen aufgenommen und seid ihr schon aktiv?

Pascal: Mit den Forderungen bin ich zufrieden. Angesichts steigender Preise und Energiekosten ist die klare Erwartung an das Tarifergebnis, dass am Ende mindestens der Inflationsausgleich rauskommt. Dafür brauchen wir 15 bis 20 Prozent mehr und mit der Forderung nach 500 Euro mehr im Monat kommen wir da ja mit unseren Eingruppierungen auch hin.

Ich bin gerade dabei, den Kolleginnen und Kollegen im Betrieb diesen Zusammenhang zu erklären, weil nicht alle auf Anhieb verstanden haben, dass für uns die Forderung von 10,5 Prozent gar nicht so wichtig ist, weil die meisten mit dem 500-Euro-Mindestbetrag ja weit darüber liegen.

Letzte Woche waren Aktive aus der Berliner Krankenhausbewegung bei uns, Pflegerinnen aus der Charité und von Vivantes, und haben die Leute angeheizt. Ich hatte das Gefühl, dass das von den Kolleg*innen gut angenommen wurde. Mir hat daran gefallen, dass die Belegschaften in den Krankenhäusern so entschlossen für ihre Ziele gekämpft haben, gegen alle Widerstände in Streik gegangen sind und so auch viel erreicht haben.

Genau das erwarte ich auch von meinen Kolleginnen und Kollegen. Dieselbe Entschlossenheit. Die Unterschrift für den Stärketest ist ein Anfang, aber ich erwarte mehr. Dass wir für unsere Forderungen einstehen, dass wir sichtbar werden durch Aktionen in der Öffentlichkeit und – wenn es darauf ankommt – dass alle auch streikbereit sind. Dass wir Schulter an Schulter zusammen stehen.

Das hat bei der BSR auch Tradition: Wir waren immer gut organisiert und kämpferisch drauf, wir stehen in unseren orangenen Klamotten bei Streiks immer in der ersten Reihe. Da sind wir stolz drauf – und erwarten dementsprechend auch ein gutes Ergebnis. Ich bin der Meinung, wenn die Bundeswehr 100 Millionen kriegt, muss bei Lohnerhöhungen auch mehr drin sein

ver.di: Herzlichen Dank, Pascal, für deine Offenheit und die Zeit, die du investiert hast.

Du bist auch im öffentlichen Dienst bei Bund oder Kommune beschäftigt und möchtest dich in der kommenden Tarifrunde engagieren? – Hier findest du die Infos! Hier geht es zur ver.di-Betriebsgruppe bei der BSR.

Wir haben eine große Branchenumfrage im Bereich Ver- und Entsorgung gestartet und viele Kolleg*innen haben mitgemacht. Hier findest du die Ergebnisse.

One thought on “Pascal, Tourenmeister bei der Berliner Stadtreinigung: „Wir fahren seit Mai an sechs Tagen in der Woche, der Fachkräftemangel geht an die Substanz“

  • 27. Oktober 2022 um 22:44
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    Meinen ganzen Respekt für den Kollegen der BSR. Sehr interessant mal über den Tellerrad zu schauen was in der Republik woanders passiert. Ubd ich gebe ihm Recht – dieses Mal sollten wir uns nicht mit den Argumeten der „leeren Kassen“, des sicheren Jobs etc. Beruhigen lassen. Ein guter und attraktiver Öffentlich Dienst sollte dem Staat in dieser Zeit auch etwas wert sein…

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