Foto: Kay Herschelmann

Wer sind eigentlich die Menschen in ver.di? Da Teile des Social-Media-Teams selbst neu sind in der ver.di-Familie, bot der fünfte ver.di-Bundeskongress eine gute Möglichkeit, Menschen in der Gewerkschaft kennen zu lernen. Am dritten Tag des Kongresses treffe ich Martina Rößmann-Wolf, die gerade neu gewählte Gewerkschaftsrats-Vorsitzende. Ihre rheinische Tonalität und ihre offene, unkomplizierte Art schaffen gleich eine angenehme Gesprächsatmosphäre, als ich sie an unserem Social-Media-Caravan treffe.

Erste Tage als ver.di-Gewerkschaftsrats-Vorsitzende

Christiane Lehmann: Hallo Martina, schön dass du dir für uns Zeit genommen hast! Erst mal herzlichen Glückwunsch zur Wahl zur Gewerkschaftsrats-Vorsitzenden. — Wie waren denn die ersten drei Tage in der neuen Funktion?  

Martina Rößmann-Wolf: Es fühlt sich noch ungewohnt an. Obwohl ich ja wusste, dass es höchstwahrscheinlich so kommt. Aber das Gefühl ist trotzdem da. Ich glaube, ich muss erst mal realisieren: Jetzt ist es so weit.

Es sind auch gar nicht die Inhalte, die neu sind, es sind ja dieselben geblieben. Ich war ja vorher schon im Gewerkschaftsrat. Es ist eher die Rolle, an die man sich gewöhnen muss. Seit der Wahl sprechen mich sehr viele Menschen an, aus ganz Deutschland. Menschen, die auch Erwartungen haben.

Der ver.di Gewerkschaftsrat als Team

Christiane Lehmann: Ändert sich denn dein persönliches Aufgabengebiet mit der Rolle – vom Mitglied des obersten ehrenamtlichen ver.di-Gremiums zu dessen Vorsitzender?

Martina Rößmann-Wolf: Ich war vier Jahre Mitglied des Präsidiums und weiß daher, wie wir arbeiten. Die Inhalte kenne ich aus dem Effeff. Das habe ich auch bei meiner Vorstellung zur Kandidatur gesagt: In meiner neuen Rolle sehe ich mich vor allem als „Primus inter pares“, also als „Erste unter Gleichen“. Wir werden gemeinsam zu Lösungen kommen und werden diese gemeinsam vertreten – im Zweifelsfall ich (lacht). Aber immer in Abstimmung – wie es auch in den letzten Jahren war und wie ich es auch in all meinen Funktionen gehalten habe. Das ist ein Team-orientierter Aushandlungsprozess – dessen Ergebnisse ich dann nach außen vertrete.

Foto: Kay Herschelmann
Im Gewerkschaftsrat die großen Themen anstoßen

Christiane Lehmann: Was du jetzt entscheidest, hat auch eine größere Tragweite …

Martina Rößmann-Wolf: Ich stehe jetzt für die übergeordneten politischen Themen. Früher im Ortsverein oder Bezirksvorstand haben wir uns überlegt, in welcher Form wir Kampagnen unterstützen, mit welchen Aktionen. Vor Ort entscheidest du über Aktionsformen: Machen wir einen Flash-Mob? Machen wir eine Demo? Jetzt ist es so, dass ich die übergeordnete Ebene vertrete: Unterstützen wir zum Beispiel Fridays for Future grundsätzlich? Fest steht z.B.: Wir werden die Rentenkampagne fortführen. Da entscheiden wir mit dem Bundesvorstand von ver.di zusammen: In welche Richtung soll die Kampagne grundsätzlich gehen? Vor Ort werden die Kolleginnen und Kollegen dann schauen und entscheiden, in welcher Form sie sich beteiligen können. Es ist schon ein anderes Denken.

Im Gewerkschaftsrat kommen wir von überall her: zum Beispiel aus verschiedenen Bezirken, verschiedenen Fachbereichen, bringen ganz unterschiedliche Erfahrungen mit und gucken dann: Wie verallgemeinern wir das und bringen das zusammen?

Christiane Lehmann: Die Themen, die ihr – ich sage mal – formt, werden ja von der Basis nach oben getragen – die Anträge für die nächsten vier Jahre werden hier auf dem Bundeskongress diskutiert und festgelegt. Kann man sagen, die Themen kommen von unten, ihr setzt den Rahmen und in den Ortsgruppen werden sie wieder ausgefüllt?

Martina Rößmann-Wolf: Das kann man ganz allgemein schon so sagen. Monika (Brandl, vorangegangene Gewerkschaftsratsvorsitzende) hat immer gesagt: „Wir sind verantwortlich für die ‚großen Kuller‘.“ Sie meinte: Machen wir überhaupt etwas zu bestimmten Themen.

24.09.2019: Die scheidende Gewerkschaftratsvorsitzende Monika Brandl und die neu gewählte Martina Roessmann-Wolf
Foto: Uli Grohs
„Mein Umfeld unterstützt mein Engagement im Ehrenamt“

Christiane Lehmann: Deine Funktion in ver.di ist ehrenamtlich. Deswegen meine Frage: Arbeitest du ganz normal Vollzeit?

Martina Rößmann-Wolf: Ja.

Christiane Lehmann: Was machst du genau?

Martina Rößmann-Wolf: Ich bin Finanzbeamtin. Ich war in meiner Finanzverwaltung lange Zeit im Personalbereich tätig und war unter anderem für Einstellungen verantwortlich. Heute arbeite ich als Steuerfahndungsprüferin.

Christiane Lehmann: Ich frage mich ja immer: Wie bekommst du das alles unter einen Hut? Dein Ehrenamt ist ja nicht gerade trivial …

Martina Rößmann-Wolf: Für manche Termine kann ich mich ganz offiziell vom Arbeitgeber freistellen lassen. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, mich unentgeltlich freistellen zu lassen – das geht hin und wieder, weil ver.di die Lohnfortzahlung leistet. Aber dennoch: Ich muss natürlich sehen, dass ich meine Arbeit bewältige. Ich fülle ja eben auch noch ganz normal meine Rolle als Arbeitnehmerin aus. Für den Bundeskongress habe ich Urlaub genommen.

Es kommt schon vor, dass ich mich öfter sonntags noch mal hinsetze und arbeite, anders geht das nicht. Mit so einem Ehrenamt hast du keinen Nine-to-five-Tag. Aber am Ende muss es einfach Spaß machen. Und mir macht es Spaß! Das ist wichtig. Das gibt mir die Kraft durchzuhalten.

Ich erhalte große Unterstützung aus meinem Umfeld. Wenn man eine*n Partner*in hat, der / die sagt: „Jetzt ist sie schon wieder weg!“, dann geht das nicht. Es ist wichtig, dass ich von meinem Mann höre: „Mach mal.“ Das Umfeld muss ähnlich denken. Dass man den Rücken frei hat – anders ginge es zumindest für mich nicht.

Ich habe meinem Mann gestern ein Foto von der Verabschiedung von Monika geschickt, ich habe ja die Abschiedsrede gehalten. Außer meinem Mann habe ich noch eine Katze. Es kam ein Selfie von beiden zurück und darunter stand: „Wir sind stolz auf dich!“ (lacht)

Foto: Kay Herrschelmann
„Ich brauche Menschen um mich herum, die mir gut tun“

Christiane Lehmann: (lacht) Das habe ich verstanden, dass der Support unglaublich wichtig ist. Aber es muss doch auch Zeiten gegeben haben, in denen du wirklich auf dem Zahnfleisch gegangen bist, stelle ich mir vor …

Martina Rößmann-Wolf: Es war nicht immer leicht. Es gab – selten – Situationen, da wollte ich nicht mehr. Aber es gab immer Menschen in ver.di, die in die Bresche gesprungen sind. Ich hatte immer das Glück – neben der privaten Unterstützung -, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die mir gut getan haben, die mich in den Arm genommen haben, aber die auch wirklich da waren, wenn ich sie brauchte. Hierauf baue ich auch in meiner neuen Rolle und das gibt mir Kraft. Ich bin offen und ich arbeite auch mit Menschen, die offen sind.

Christiane Lehmann: Ich vermute ja, dass das das Solidaritäts-Prinzip ist. Dass du vielleicht auch für diese Menschen da warst, wenn sie Hilfe brauchten.

Martina Rößmann-Wolf: (lacht) Ja. Das kann gut sein.

Mit dem Herzen voran in die Gewerkschaft

Christiane Lehmann: Wie bist du eigentlich zur Gewerkschaft gekommen? Was war dein Schlüsselerlebnis?

Martina Rößmann-Wolf: Das war die Liebe.

Christiane Lehmann: (??????)

Martina Rößmann-Wolf: In dem Finanzamt, in dem ich arbeitete, fanden Personalratswahlen statt – und ein netter junger Mann, der mir auch schon vorher aufgefallen war, sprach mich an, ob ich nicht mitmachen wollte. Zu dem Zeitpunkt war ich noch gar nicht in der Gewerkschaft. (Pause)

Wir sind dann auch zusammengekommen. Personalrätin bin ich aber nicht geworden, weil ich die Dienststelle vorher gewechselt habe. Aber mit diesem jungen Mann bin ich heute immer noch verheiratet.

Christiane Lehmann: Ach nein (*kreisch*)!! Dann verstehe ich auch, dass du zuhause diese tolle Unterstützung für dein Engagement erfährst. Aber zurück zu deinem Werdegang: Du bist also trotz des Wechsels dran geblieben …

Einstieg in die Gewerkschaft über Gleichstellungspolitik

Martina Rößmann-Wolf: Ich wusste, ich wollte langfristig aktiv werden. Meine Heimat habe ich zu Beginn bei den Frauen gefunden. In dieser Zeit habe ich dort sehr viel gelernt: Methodik, Moderation, Rhetorik, das ganze Rüstzeug – das kommt alles von dort. Inhaltlich ging es in dieser Zeit viel um die Abschaffung des Paragraph 218. Das war eine schöne Zeit, wie ein geschützter Raum, die mich vorbereitet hat, auf das, was danach kam. Ich muss aber auch sagen: Das war für mich die einzige Möglichkeit aktiv zu werden!

Christiane Lehmann: Inwiefern?

Martina Rößmann-Wolf: Das war damals ja noch ÖTV. Der Bereich Stadtverwaltung & Stadtwerke war ausgesprochen stark. Da hattest du als Finanzbeamtin, dazu als junge Frau Ende zwanzig, kaum Chancen, in irgendwelche wichtigen Positionen gewählt zu werden.

Christiane Lehmann: … und dann kam ver.di (lacht) Aber im Ernst: Den Punkt finde ich interessant: Was hat sich geändert mit ver.di – wieso kam man da als Frau auf einmal rein?

Martina Rößmann-Wolf: ver.di war eine Chance. Es war einfach bunter – offener – nicht mehr fokussiert auf wenige Branchen … Für mich war ver.di ein Glücksgriff. Bei der ÖTV wäre es für mich sehr anstrengend geworden. Ich hatte aus meiner Finanzverwaltung kaum Mitstreiter*innen. In ver.di bekam ich auf einmal Unterstützung aus ganz anderen Bereichen. Das war und ist schon toll.

„Gewerkschafts-Arbeit ist für mich Gesellschaftspolitik“

Christiane Lehmann: Was waren denn die Herausforderungen oder deine Themen in deinem Bezirk Düssel-Rhein-Wupper?

Martina Rößmann-Wolf: Ich komme aus Wuppertal – das ist eine Kommune in sehr schwieriger finanzieller Lage. Wir, also der Bezirksvorstand, haben immer versucht, ver.di ein Gesicht zu geben und uns einzubringen.

Und natürlich – ich habe gegen alles gekämpft, was mit Diskriminierung jeglicher Art zu tun hatte. Heute ist es vor allem das Engagement gegen rechts. Mein erstes Thema ist sicher nicht Tarifpolitik! (lacht) – Ich kenne mich natürlich aus, aber trotzdem: Das können andere besser, die bei dieser Sache mit dem ganzen Herzen und ganz viel Wissen dabei sind.

Gewerkschaft heute: für Demokratie aufstehen!

Christiane Lehmann: Meine Frage nach deiner Vision für den Gewerkschaftsrat ist eigentlich fast überflüssig …

Martina Rößmann-Wolf: Nein, das sind vor allem zwei Punkte. Das eine betrifft die Mitgliederentwicklung – wir werden uns damit beschäftigen: Wie kann ich wen ansprechen? – Das ist ein ganz großer Schwerpunkt in den nächsten vier Jahren.

Und dann: Gesellschaftspolitik! Vor allem der Kampf gegen rechts, das ist existenziell. Diese Spaltung müssen wir überwinden. Dafür gibt es keine einfache Lösung. Mit der Rhetorik, wie man sie im derzeitigen Politikbetrieb findet, werden wir das eher nicht schaffen. Die Politik lebt uns nicht vor, wie man die Gräben überwindet. Wir sind in der Pflicht, Ideen zu entwickeln.

Es macht nicht immer Freude, die Demokratie zu verteidigen, in diesen Zeiten. Es erfordert viel Geduld und oft kommt man mit Argumenten nicht weiter, man muss auch viel einstecken. Trotzdem: Das ist wirklich eine der wichtigsten Aufgaben jetzt.

Christiane Lehmann: Liebe Martina, ich bin ganz deiner Meinung. Ich wünsche dir viel Erfolg und danke dir vor allem für das schöne Gespräch


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