Ein Beitrag von Conny Berger, Leiterin Kommunikation in ver.di

Foto: KAY HERSCHELMANN

Zu Beginn gleich mal ein Transparenzhinweis in eigener Sache: ich bin ein Kongressurgestein und habe in der Woche vom 17.-22. September meinen siebten ver.di-Kongress erlebt. Kurios, es war doch erst der sechste, könnte das aufmerksame Mitglied jetzt einwenden. Aber es gab auch einen „unordentlichen“, nämlich den Gründungskongress, da war ich als damals noch junges Gewerkschaftsküken schon mit dabei.

Ich hatte vorher keine Ahnung, was mich erwartet, was das ist, ein Gewerkschaftskongress, der damals auch noch irreführend Gewerkschaftstag hieß. Mittlerweile weiß ich zumindest, dass es ratsam ist, viele Paar Schuhe griffbereit zu haben, weil es gilt, im Dienste der Organisation viele Kilometer durch Kongresshallen, -gänge und Sitzungsräume zu laufen und dass auch Halsbonbons nicht im Gepäck fehlen dürfen, da durch die vielen Gespräche und die Klimaanlagenluft die Stimmbänder strapaziert werden.

Der Bundeskongress – ein demokratisches Hochamt!
Foto: KAY HERSCHELMANN

So ist mir bei diesem siebten Kongress am letzten Tag auch mal wieder die Stimme abhanden gekommen, insgesamt zum vierten Mal in meiner Kongresshistorie. Aber da gab es viel Wichtigeres zu erleben: Dass Menschen sich auf Vorstandsmandate bewerben und nicht gewählt werden, zum Beispiel. Das gab es drei- bzw vier Mal, dass leidenschaftliche Auseinandersetzungen um Anträge den Ablauf verändern.

Das Heft des Handelns in der Hand haben auf den Kongressen die Ehrenamtlichen. Sie sind die Bestimmer*innen in ver.di und leiten den Kongress entsprechend unserer Regularien wie Satzung und Richtlinien. Darauf bereiten sie sich monatelang akribisch vor, lassen sich juristisch und politisch beraten, spielen verschiedene Szenarien des möglichen Ablaufs der Veranstaltung durch. Rund 1000 Delegierte kommen zu dieser Veranstaltung, sie reisen an, um die Position zu vertreten, für die sie von ihren Bezirken, Landesbezirken oder Fachbereichen delegiert worden sind. Was für ein demokratisches Hochamt!

Gemeinsamer Kurs für die nächsten Jahre
Foto: KAY HERSCHELMANN

Genau dafür liebe ich diese Kongresse: So ganz genau weiß man vorher nicht, was passiert, wohl aber, dass man in guten Händen ist. In den Händen der Ehrenamtlichen, unserer Mitglieder, die by the way auch das Gehalt von uns Hauptamtlichen mit ihren Beiträgen finanzieren. Und 1000 von ihnen kommen alle vier Jahre zusammen, um gemeinsam den Kurs abzustecken, den ver.di in der Zeit bis zum nächsten Kongress nimmt.

Was für eine große Aufgabe, kein Wunder, dass da gerungen, diskutiert und auch mal gestritten wird, es geht ja auch um was, ver.di ist ein politisches Schwergewicht in der Bundesrepublik und da ist es auch nur folgerichtig, dass Bundeskanzler, Wirtschafts- und Arbeitsminister dem Kongress ihre Aufwartung machen. Sie können ihre Politik erklären, dafür werben, aber entscheiden, wie ver.di sich zu relevanten Fragen wie zum Beispiel die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns oder die Zukunft der Mitbestimmung oder guter Arbeit verhält, das entscheiden die Delegierten mit Mehrheit oder wenn es um die satzungsändernden Anträge geht, sogar mit Zwei-Drittel-Mehrheit.

Schwung, Kraft und Klarheit für unsere Ziele
Foto: KAY HERSCHELMANN

Der Kongress hat die Macht und er nutzt sie. In diesem Jahr zum Beispiel, um einen schwierigen Spagat hinzukriegen in der Frage von Frieden und Sicherheit. Die Welt hat sich verändert durch den russischen Angriff auf die Ukraine und traditionelle Gewissheiten wurden auf den Kopf und in Frage gestellt. Nach diesem Kongress wissen wir, ja, ver.di begreift sich als Teil der Friedensbewegung, erkennt aber auch das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine an. Der Kongress hat Klarheit geschaffen, Prioritäten gesetzt, zum Beispiel in der Frage, wo sich unsere queeren Kolleg*innen in der ver.di-Struktur wiederfinden. 

Und er hat Schwung gebracht, Einblicke in die Arbeit unserer Kolleg*innen und er hat ein solidarisches Kraftfeld gespannt, vom TikTok-Kollegen über die streikenden Handelsbeschäftigten, die Nahverkehrskolleg*innen, die ver.di-Jugend, die Kolleg*innen von der Post, in kirchlichen Einrichtungen, im Hamburger Hafen, in Gräfenhausen, um nur einige zu nennen.

Geeint mehr erreichen – in ver.di
Foto: KAY HERSCHELMANN

Wenn der Kongress aufsteht, wenn die Delegierten ihre Hände in die Luft recken, um ihre Unterstützung zu zeigen, wenn sie anfeuern, Beifall und Trost geben, dann wird dieses Kraftfeld spürbar. So viele Individuen, eigene Zugänge und Gewerkschaftsbiographien, die der Gedanke eint, dass wir gemeinsam als starke Gewerkschaft mehr erreichen, das schafft eine besondere Atmosphäre, die von Respekt, Offenheit und einem gemeinsamen Wertegerüst geprägt ist. Es ist ein Geschenk, Teil dieses Gesamtkunstwerks zu sein und ich bin dankbar dafür. Denn Morgen braucht uns!

Cornelia Berger, Leiterin Kommunikation in ver.di, schreibt in unregelmäßigen Abständen auf diesem Blog darüber, was die Gewerkschaft bewegt.

Sie studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Staatsrecht und arbeitete als Journalistin. Seit 2001 ist sie bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) als Pressesprecherin des Bundesvorstands, Geschäftsführerin der dju in ver.di und Bereichsleiterin Medien in der ver.di-Bundesverwaltung. 

Seit Oktober 2020 leitet sie den Bereich Kommunikation.

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