Foto: CHARLES YUNCK

Am Mittwochmorgen ist Linda Ruch „die Stimme“ der Konferenzleitung. Bereits in der Anmoderation erobert die selbsterklärte „Aufwärm-Expertin“ unsere Herzen. Nach dem langen Abendprogramm gestern, befindet sie, dass wir einer Aufmunterungsaktion bedürfen. Hier könnt ihr Linda im Interview kennen lernen …

Auf ihr Kommando steht das gesamte Auditorium auf, wir drehen uns – nach links natürlich – und dürfen uns wieder setzen – Verwirrung allerseits. Linda: „Ihr habt das getan, was ihr am besten könnt: „Aufstehen, euch querstellen und widersetzen“. So gestärkt kann das Programm beginnen.

Betriebsrat für TikTok: Ein starkes Zeichen für die Tech-Branche
Foto: CHARLES YUNCK

Der Kongresstag beginnt mit einem Besuch. Ben ist Betriebsratsvorsitzender beim Social-Media-Netzwerk TikTok. Viele seiner Kolleg*innen sind Content Moderator*innen. Ihre Aufgabe ist es, schädliche Beiträge aus dem Netzwerk zu entfernen – eine der wichtigsten Aufgaben, aber auch der Bereich, in dem das Unternehmen versucht Kosten zu sparen.

Er schildert, wie es nach einem langen Kampf gelungen ist, mithilfe von ver.di einen Betriebsrat zu installieren. Mit einer starken ver.di-Liste gelingt es ihnen, die Interessen aller Kolleg*innen abzubilden. Am Anfang, sagt Ben, war dem Gremium nicht klar, was auf sie zukommen würde. Dank der absolvierten ver.di-Weiterbildungen fühlen sie sich nach einem knappen Jahr befähigt, die Interessen der Kolleg*innen abzubilden und zu platzieren. Der Betriebsrat hat bereits erste Verbesserungen für die Kolleg*innen erwirkt: mehr Zeit für Erholung und die dringend benötigte und psychische Betreuung für jene Kolleginnen, die tagtäglich mit den unterschiedlichsten Gewaltdarstellungen konfrontiert sind. Außerdem sind sie in Gesprächen für eine Betriebsvereinbarung zu flexibleren Arbeitszeiten und einem gerechteren Beurteilungssystem.

Ein starkes Zeichen in der bisher weitgehend nicht-mitbestimmten Tech-Branche!

Wir fahren zusammen – Fridays for Future und ver.di Verkehr

Bis zum Mittag sind die Delegierten mit Beschlüssen zu Anträgen zu „Guter Arbeit“ beschäftigt. Sie diskutieren über Mindestlohn, Minijobs, Leiharbeit oder sachgrundlose Befristungen und fassen anschließend ihre Beschlüsse zu den Anträgen. Mehr über die Leitanträge.

Mittags heißt es dann: Bühne frei für das Bündnis „Wir fahren zusammen“. Die Zusammenarbeit zwischen Fridays for Future und ver.di verkehr existiert bereits seit 2020. Die tragende Idee des Bündnisses: Es ist unmöglich, die ökologische Wende ohne einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr zu erreichen. 

Dort – im ÖPNV – herrscht ein akuter Personalmangel, denn Bezahlung und Arbeitsbedingungen sind schlecht. Wenn mit den Babyboomer-Jahrgängen jede*r zweite Beschäftigte bis 20230 in Rente geht, wird sich die Situation noch mal krass zuspitzen. Weil mehr Personal nur durch gute Arbeitsbedingungen zu gewinnen ist, unterstützen die Aktivista auch 2024 die bundesweite Tarifrunde für die Beschäftigten der öffentlichen Verkehrsbetriebe. 

Foto: CHARLES YUNCK

Rika Müller-Vahl, seit 2019 bei den Fridays, schildert auf der Bühne, wie die zwei sehr unterschiedlichen Bewegungen zusammenwachsen. Auf Hoffesten und beim gemeinsamen Grillen kommen sich Aktivist*innen und ÖPNV-Beschäftigte näher und bauen Vorurteile ab. Ziel ist es, aus der Initiative eine übergreifende Bewegung aufzubauen, mehr Menschen dazu zu bewegen, sich für die sozial-ökologische Wende zu engagieren.

Deswegen hat das Bündnis eine Unterschriften-Aktion gestartet und während der globalen Klima-Demo am 15. September in wenigen Stunden über 21.000 Unterschriften gesammelt. Diese Unterschriften überreichen sie der stellvertretenden Vorsitzenden Christine Behle, die für den ÖPNV verantwortlich ist.


Foto: CHARLES YUNCK

Dass die Arbeitgeberseite von einer „gefährlichen Grenzüberschreitung“ gesprochen habe, zeige doch welche Kraft in der Bewegung liegt, sagt Rika noch. Dieses Potenzial muss genutzt werden.

Neben besseren Arbeitsbedingungen bedarf es massiver Investitionen, der ÖPNV muss bis 2030 verdoppelt werden, es bedarf einer höheren Taktung und mehr Routen.

Sie ruft die Delegierten auf, die Petition ebenfalls zu unterschreiben und sogar selbst Unterschriften zu sammeln. Am Schluss heißt es: „Der ÖPNV geht uns alle an: Aktivist*innen, Fahrer*innen, Fahrgäste!“ Für die engagierte Rede gibt es dann auch Standing Ovations.

Auch in unserem täglichen Mittags-Talk hier auf dem Bundeskongress ging es um das gemeinsame Bündnis. Im Gespräch mit Conny Berger sind Aydogan Arslan und Felicitas Heinisch von Fridays for Future.

Kevin ist Archivar beim Kreisarchiv Nordwestmecklenburg, ver.di-Aktiver und Personalratsvorsitzender. Er ist zum ersten Mal beim Bundeskongress als Delegierter dabei und berichtet von seinen Eindrücken:

„Redebeiträge eines Betriebsratsmitglied von TikTok, von Fridays for Future, von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und von Wirtschaftsminister Robert Habeck, dazu noch ein Parteien- und Fraktionsabend mit Politik-Talk und jede Menge Antragsberatung. Der vierteTag hat gezeigt, wie vielseitig und vielschichtig ein ver.di-Bundeskongress ist. 

Besonders beeindruckt hat mich der Antrag und die Aktion der ver.di-Jugend zur Förderung der psychischen Gesundheit. Ein so wichtiges Thema, welches noch viel mehr Bedeutung erhalten muss. Ein großer Dank an die ver.di-Jugend für die Thematisierung dieses Themas. Der einstimmige Beschluss zeigt, wie einig wir uns in der Gewerkschaft bei diesem Punkt sind.“

Hubertus Heil: vom Wert, von der Würde und vom Wandel der Arbeit
Hubertus Heil im Gespräch mit Kita-Beschäftigten
Foto: KAY HERSCHELMANN

Weiter geht es mit der Antragsberatung. Am frühe Nachmittag bekommen wir Besuch vom Bundesminister für Arbeit und Soziales. Hubertus Heil beginnt seine Rede mit einem handfesten „Moin“ – und gratuliert uns zur Wahl unseres Vorsitzenden: „Ihr habt richtig entschieden.“

Er kündigt an, sich dafür einzusetzen, dass Union Busting ein Offizialdelikt wird – was bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft – anders als jetzt – aktiv gegen Verstöße ermittelt.

Zum Wert von Arbeit geht er auf die Diskussion um den Mindestlohn ein. Die Debatte macht ihn sauer, dass Leute sagen, „Arbeit muss sich lohnen“, um damit einen höheren Mindestlohn zu verhindern. Es gehe nicht an, das Existenzminimum von Menschen herunterzurechnen, statt dessen müssen Einkommen wieder steigen. Heil: „Das Wichtigste ist, dass wir wieder mehr Tariflöhne in diesem Land haben.“

Foto: KAY HERSCHELMANN

Und dann folgt noch eine starke Ankündigung: Am Donnerstag will er gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ein Tariftreue- und Tarifstärkungsgesetz vorlegen. Öffentliche Aufträge auf Bundesebene gäbe es dann nur noch für Unternehmen mit Tarif!

Würde der Arbeit: Arbeit darf nicht krank machen. Konkrete Maßnahmen wünscht er sich im Bereich der Paketzustellung. Das Paketbotenschutzgesetz greift zu kurz. Er macht sich für ein Direktanstellungsgebot stark und möchte die Arbeitsschutzverordnung so verändern, dass niemand Pakete schleppen muss, die mehr wiegen als 20  Kilo.

Er geht auf die LKW-Fahrer*innen auf der Raststätte in Gräfenhausen ein, die um ihren Lohn „beschissen“ werden. Sein Ministerium unterstützt die, auch mit ver.di verbundene, Initiative „Faire Mobilität„, die sich seit Jahren für die Rechte unter anderem der Trucker*innen einsetzt.

Wandel: Dekarbonisierung Digitalisierung Demografie 
Foto: CHARLES YUNCK

In seiner mitreißenden Rede spricht er vom Wert, von der Würde und vom Wandel der Arbeit – und er macht sich gegen Union Busting stark.

Heil geht darauf ein, dass die Boomer-Generation bald in Rente geht: „Wir müssen 7 Millionen Arbeitskräfte ersetzen.“ Potenziale sieht er in den Menschen ohne Abschluss und der Frauenerwerbstätigkeit. Die Anhebung des Renteneintrittsalters ist für ihn kein Thema: Wer 65 Jahre gearbeitet hat, muss abschlagsfrei in Rente gehen können. Stattdessen fordert er flexible Übergänge.

Arbeit ist für ihn mehr als Geldverdienen: Arbeit ist das, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Daraus folgt für ihn: „Wir werden als Staat nicht tatenlos zusehen, wie die Tarifbindung abnimmt.“ Und es sei leicht, Menschengruppen gegeneinander auszuspielen, schwieriger ist es, sie durch Maßnahmen zusammenzuhalten. Am Ende weist er auf demokratische Spielregeln hin: „Man darf niemals das Wort „Kompromiss“ für ein Schimpfwort halten.“

Die Rede des Bundesministers kam bei den Delegierten gut an. Unser Vorsitzender geht noch mal kurz ans Rednerpult, um dem Minister „Hausaufgaben“ mitzugeben: Das Mindestlohngesetz bedarf einer grundlegenden Reform, damit die Arbeitnehmervertreter*innen nicht noch einmal so überstimmt werden können. Außerdem soll der Minister die geplanten Kürzungen für junge Leute unter 25 im Bürgergeldbezug überdenken.

Robert Habeck: Der erste Wirtschaftsminister pro höhere Mindestlöhne
Foto: KAY HERSCHELMANN

Der Bundesminister für Wirtshaft und Klimaschutz betritt die Bühne überpünktlich. Anekdotisch stellt er fest: „Frank sagte, ich sei der erste Wirtschaftsminister auf einem ver.di-Kongress spricht – aber ich bin auch der erste Wirtschaftsminister, der für höhere Mindestlöhne ist und es vernünftig findet, dass mit der Inflation auch die Gehälter der Beschäftigten steigen.“

Er singt ein Loblied auf das Ehrenamt, das für ihn ein Engagement am Gemeinschaftsgut ist. An die Delegierten gerichtet, stellt er fest, dass „es eine große Leistung“ sei, „für andere das Sitzfleisch aufzubringen“.

Gewerkschaften seien ein Bollwerk gegen Populismus, sagt der Minister. Die tiefgreifenden Veränderungen unserer Zeit führten zu Verunsicherung und Vereinzelung und zu populistischen Erzählungen. Wo Gewerkschaft ist, findet er weniger Vereinzelung und weniger Populismus. Kein Wunder – helfen Gewerkschaften doch mit, den Wandel zu organisieren.

Klasse: Auf dem Bundeskongress gibt es sogar eine Kita!
Foto: CHARLES YUNCK

Er geht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ein, die zu ungleichen Startbedingungen bei den Menschen führen und auf die Abwertung von händischer Arbeit. Wenig Anerkennung und ungleiche Verteilung führen zu Enttäuschung bei den Einzelnen. In einem der reichsten Länder der Welt, können sich viele die Lebenshaltungskosten kaum noch leisten. 

Damit war das Tagesprogramm beendet. Für die Delegierten gab es abends einen hochkarätig besetzten Polit-Talk mit der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, Hermann Gröhe von der CDU, Ricarda Lang von BÜNDNIS/DIE GRÜNEN, Janine Wissler, Die Linke, und Johannes Vogel, FDP.

Auch heute übertragen wir die Antragsdiskussion auf unserem Live Stream! Seht euch auch unsere täglichen Lunch-Talks um 13.45 Uhr auf unserer Facebook-Seite oder auf YouTube an.

Rückblick Tag 1: Auf in die Zukunft!
Rückblick Tag 2: Auf der hellen Seite der Macht
Rückblick Tag 3: Hoch die internationale Solidarität!
Rückblick Tag 5: ver.di to the core -Anträge, Anträge, Anträge
Rückblick Tag 6: Volle Pulle Endspurt

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